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Mit ihrer prallen Nierenform, ihrer glänzenden Haut, ihrer tiefschwarzen, manchmal ganz leicht ins Dunkelbläuliche funkelnden Farbe ist die Aubergine eine der perfektesten Früchte überhaupt.

von Samuel Herzog*

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Es gibt fruchtbare Zusammentreffen, etwa wenn eine Turban-Schnecke in die Hände eines Sashimi-Meisters fällt. Und es gibt Begegnungen, die zwangsläufig in die Havarie führen – zum Beispiel das Rendez-vous einer Studentin der Kunstgeschichte mit einer Aubergine. Namen werden keine genannt, denn schliesslich leitet die Kommilitonin von einst heute ein angesehenes Institut. Aber das Rezept ist schnell erzählt: Wasser erhitzen, geschälte und gewürfelte Aubergine hineingeben, ein Paket tiefgefrorenes Geschnetzeltes vom Huhn und ein halbes Gläschen Currypulver dazu. Wenn die Gäste da sind, noch einmal kurz aufkochen lassen und dann servieren – mit Parboiled-Reis, einer Karaffe «Rubi Rosa» und einer Bemerkung wie: «Bourdieu wird meiner Meinung nach allgemein überschätzt.»

Ich werde das Gefühl nie vergessen, das ich beim Biss in diese noch fast gänzlich rohen Auberginenstücke hatte. Mir war, als bohrten sich meine Zähne in die Haut eines Seehundes, und nach kurzer Zeit hatte ich eine Masse im Mund, die ich weder schlucken noch ohne Gesichtsverlust ausspucken konnte. Zugleich quietschte es zwischen meinen Zähnen, wie wenn da eine schlecht geölte Tür vom Wind hin- und hergeschlagen würde. Aus dem Innern der Gemüsestücke lief mir ein säuerlicher Saft in den Hals, das Currypulver sickerte bitter in meine Schleimhäute ein – und das Hühnerfleisch hatte sich zu faserigen Strängen aufgelöst, die sich um meine Zahnhälse schlangen. Völlig paralysiert sass ich da, überzeugt, dass ich einen bleibenden Schaden davontragen würde – und wusste nur eins: nie wieder Aubergine.

Nun, das war, als in Berlin gerade die Mauer fiel – und ich hatte nur wenig Erfahrung mit dem Gemüse. In den romanischen Ländern war die Aubergine damals eine Selbstverständlichkeit – in der deutschen Schweiz aber ein Exotikum, das man erst langsam zu entdecken begann und für dessen Zubereitung es ebenso rigorose wie komplizierte Vorschriften gab, musste das Gemüse doch vor dem Kochen unbedingt erst entgiftet werden. Man schnitt es in Scheiben, rieb es tüchtig mit Salz ein, das dem Nachtschattengewächs den toxischen Saft aus den Poren treiben sollte. Hatte es sich richtig müde geschwitzt, presste man die Teile aus, spülte sie in viel Wasser, drückte nach, tupfte trocken – ein Prozess, der mir oft wie ein exorzistisches Ritual vorkam, wie ein Versuch, der Nacht den Schatten auszutreiben. Waren sie endlich geläutert, briet man die ermatteten Schnitten ausgiebig an. Dabei floss der Inhalt eines halben Tankers in die Pfanne, hatten die Tranchen doch die rätselhafte Eigenheit, endlose Mengen von Öl in sich aufzusaugen. Das Resultat war unglaublich fett, praktisch reines Extra Vergine – stellte aber so wenigstens keine Gefahr mehr dar für Leib und Leben.

Es gab also gute Gründe, die Finger von der Aubergine zu lassen. Dass man ihr auch den Namen Eierfrucht gab, wohl eine Übersetzung des englischen «eggplant», erhöhte nicht eben ihre Attraktivität. Und war darüber hinaus vollkommen unverständlich: Alle Auberginen, die man damals in die Hände bekam, waren gross wie ein Unterarm und tiefschwarz. Dass es in der indischen Heimat der Eierfrucht vor allem kleinere und manchmal durchaus ovoforme Früchte gibt, die überdies auch eine perlweisse Haut haben können, wusste damals kaum jemand – denn Asia-Geschäfte gab es noch keine, und die Fliegerei war ein Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. Allerdings soll auch in einem Renaissancegarten zu Hessen bereits um 1630 eine Aubergine angebaut worden sein, die «Weisses Ei» hiess und genauso aussah.

Meine Mitstudentin hatte offenbar keine Ahnung, was für eine gefährliche Frucht ihr da untergekommen war. Dass ihr die Aubergine aus ästhetischen Gründen gefallen musste, war klar, schrieb sie doch ihre Lizenziatsarbeit über einen Schüler von Caravaggio. Mit ihrer prallen Nierenform, ihrer glänzenden Haut, ihrer tiefschwarzen, manchmal ganz leicht ins Dunkelbläuliche funkelnden Farbe, ihrem milch- oder elfenbeinweissen Fleisch ist die Aubergine eine der perfektesten Früchte überhaupt – ein geradezu technoid anmutendes Schmuckstück der Natur. Ein Vamp aber auch, so meinte ich damals, dessen Kuss den Unvorbereiteten ins Verderben stürzt – kein Wunder, sass ich wie versteinert am Tisch, mit einem bitteren Kloss im Hals.

Seit dem Mauerfall sind einige Jahre vergangen – und da mir das Auberginen-Trauma in fast erwachsenem Zustand (immerhin konnte ich Bourdieu lesen) zugestossen war, überwand ich es relativ bald. Die Aubergine wurde auch in der Schweiz immer populärer, und zugleich weitete sich unser kulinarischer Horizont, durch eigene Reisen ebenso wie durch die Menschen aus fremden Ländern, die mehr und mehr zu uns kamen. Ja die sukzessive Erforschung von Aubergine und Welt liesse sich als eine simultan verlaufende Bewegung beschreiben. Auf die Ratatouille der Provence und Italiens Parmigiana di Melanzane folgte in Griechenland das Zusammentreffen von Lamm und Aubergine (Moussaka), das dem Fettdurst der Frucht endlich kulinarischen Sinn verlieh. Die Türkei lehrte, wie sich der gebackenen Patlıcan mit Joghurt und Chili eine säuerliche Frische verpassen liess. Die arabische Welt schenkte uns Baba Ghanoush, Indien liess uns Sambars, Chutneys und veritable Brinjal-Currys entdecken, Thailand (das auch ein Ursprungsland von Solanum melongena sein will) heizte uns mit eher kleinfruchtigen Sorten und viel Chili den Gaumen ein . . . und irgendwann stellte in Tokio eine junge Dame mit einem freundlichen Lächeln eine Schüssel Reis mit kalter Miso-Sesam-Sauce vor mich hin, der mit Scheiben roher Aubergine belegt war. Und plötzlich war er wieder über mir, der gefährliche Schatten der Eierfrucht. Sollte ich, nachdem ich ein Kugelfisch-Menu überstanden hatte, nun dem Gift ungekochter Auberginen erliegen? Ich vertraute und ass. Die Haut der Frucht hatte eine etwas gummige Konsistenz, das Fleisch aber schmeckte leicht süss und frisch, ein bisschen wie eine etwas mehlige Birne, doch mit einer leichten Haselnuss- und einer Maulbeernote – zauberhaft, wenn auch ein bisschen adstringierend.

Dass rohe Auberginen unverträglich sein sollen, scheint ein verbreiteter Mythos zu sein, wiederum nur in den deutschsprachigen Ländern allerdings – Alexandre Dumas etwa schreibt schon 1873 in seinem «Dictionnaire de cuisine», dass man die Aubergine «en salade ou cuite» verzehren könne. So gut die Früchte roh schmecken, nur gebraten entfalten sie jenen sahnigen Tanzboden, auf dem warme Gewürze wie Ingwer, Knoblauch, Muskat oder Kardamom ihre glänzendsten Auftritte feiern können. Nur gedünstet bekommen sie jenes holzig-pilzige Aroma, das sie zu einem perfekten Partner salziger Fleischspeisen werden lässt. Und nur grilliert entwickeln sie jene leicht ledrige Konsistenz zwischen Gemüse und Fleisch, die sie für Vegetarier besonders interessant macht.

Sicher haben sich seit dem Fall der Mauer auch die Auberginen gewandelt, wurden ihnen die Bitterstoffe per Zucht ausgetrieben. Verändert hat sich aber auch unser Gaumen, der heute nicht mehr automatisch ablehnt, was er nicht kennt. Ob wir das Auberginen-Curry unserer Kommilitonin deshalb heute eher schätzen würden, ist schwer zu sagen. Sicher ist auf jeden Fall: Den «Rubi Rosa» lassen wir unberührt stehen.

Dieser Text erschien erstmals am Samstag, 23.8.2014 als Teil der Serie «Mundstücke» im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung», S. 51.