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Obwohl die Zucchini vor allem aus Wasser besteht und nur wenige Kalorien hat, schmeckt sie roh auf eine ganz eigene Weise dicht und reich.

von Samuel Herzog*

In «Les Amazones de la voie lactée» landet das Raumschiff der kriegerischen Frauen, von deren Abenteuern der Roman erzählt, auf einem Planeten namens Citrullia. Dessen auffällig fröhliche Bevölkerung verehrt einen besonderen, Jahr um Jahr wieder wachsenden Zucchini-Strauch (Cucurbita eburnea). Sie glaubt, dass dessen Früchte von intelligenten Wesen bewohnt werden, deren Universum jeweils im Frühling entsteht, um dann mit dem Verfaulen der Frucht im Herbst gewissermassen zu implodieren. Während eines Spaziergangs auf dem Planeten bricht die Jüngste der Amazonen eine Zucchini von dem Strauch und entführt sie auf das Schiff. Es kommt zu einem Krieg, in dessen Verlauf die am Strauch verbliebenen Früchte eine Energie generieren, mit welcher sie die Amazonen in einen Zustand der Verzückung versetzen – was natürlich dazu führt, dass die streitbaren Ladys die Schlacht verlieren.

Auch die terrestrischen Verwandten dieser kosmischen Elfenbein-Zucchini sind so beschaffen, dass sie durchaus etwas Zauberhaftes haben. Obwohl das Gemüse vor allem aus Wasser besteht und nur wenige Kalorien hat, schmeckt es roh auf eine ganz eigene Weise dicht und reich. Es beschert dem Gaumen so ein nährendes, höchst befriedigendes Erlebnis. Im Mund sind die Früchte knackig, fleischig und leicht süsslich, in seltenen Fällen auch ein wenig bitter oder adstringierend. Das Aroma ist holzig, nussig und auch ein bisschen maritim – wie wenn entfernte Vorfahren Algen gewesen wären oder gar Fische. Manche Exemplare schmecken, als seien sie mit einem wilden Kraut gewürzt, andere, als bereiteten sie sich auf eine Karriere im Dessert-Bereich vor, als am Strauch gewachsene Crème pâtissière. Und es lohnt sich auf jeden Fall, bei Gelegenheit eine Scheibe der Frucht mit etwas braunem Zucker oder mit Honig und Sesam zu probieren. Im Nachklang entwickelt die Zucchini eine pilzige, geradezu trüffelartige, feinstoffliche Modrigkeit, die das Gefühl hinterlässt, man habe etwas ganz besonders Kostbares gegessen. Deon Godet nennt die Zucchini eine «Stopfleber für Vegetarier», fühlt sich von ihrem Aroma aber auch an den «Nacken einer Geliebten» erinnert, die an «einem leichten Fieber» litt: «Ich musste wieder und wieder meine Zähne in diese Haut schlagen, bis ich so viel von ihrem Duft in meinem Mund hatte, dass ich endlich schlucken konnte. Danach habe ich ihr ein Aspirin gebracht.»

Was ein derart charmantes Aroma hat, ist gewöhnlich von scheuer Natur und wächst höchstens diskret unter der Erde vor sich hin (wie etwa die Trüffel), muss mit riesigen Aufwand gewonnen oder in der Küche verarbeitet werden (wie Palmherzen und Schwarzwurzeln), ist empfindlich oder gedeiht nur in kleinen Mengen. Die Zucchini aber ist von einer derartigen Grossherzigkeit, dass sie Kleingärtner damit regelmässig an den Rand der Verzweiflung bringt: Mit verlegenem Lächeln tauchen sie dann vor den Türen ihrer Nachbarn oder Freunde auf, einen grün glänzenden Baseballschläger im Arm: «Ich weiss einfach nicht mehr, was ich mit all den Früchten noch tun soll.»

Die Masslosigkeit, mit der sich die Zucchini dem Menschen schenkt, mag ein Grund dafür sein, dass es so etwas wie eine internationale Verschwörung gegen ausgewachsene Früchte gibt. Regelmässig raten Kochbücher dazu, nur kleine Früchte zu verwenden, denn grosse seien «wässrig» und «geschmacklos». Mir selbst ist noch nie eine wässrige Zucchini begegnet, und Geschmack haben auch die grossen Keulen noch genug – vielleicht sind sie etwas weniger zart, dafür aber sind sie gefüllt eine himmlische Herrlichkeit, denn unter Hitze entwickelt das Fleisch eine glasige Konsistenz und nimmt Aromen von Gewürzen, Fleisch, Käse oder Brühe mit Begeisterung auf.

Erfunden wurde die Zucchini höchstwahrscheinlich von italienischen Gärtnern, die sie wohl im 18. oder frühen 19. Jahrhundert aus demselben Kürbis-Clan (Cucurbita pepo) zogen, der die Bewohner der Neuen Welt nachweislich seit einem Dutzend Jahrtausenden schon nährt. Obwohl die Zucchini faktisch ein etwas in die Länge gezüchteter und meist unreif geernteter Kürbis ist, wird sie von den meisten als ein eigenständiges Gemüse wahrgenommen. Die Verwandtschaft wird indes sichtbar, wenn man die verschiedenen Formen und Farben ansieht, mit denen die Zucchetti auf unseren Märkten auftauchen – und auch wenn man die kapitale Grösse in Betracht zieht, die so eine Frucht erreichen kann. Selbst die Namen sind eindeutig: der zucchetto ist eine kleine zucca, die französische courgette eine kleine courge. Auch Zucchini brauchten – wie so manch anderes Gemüse aus dem Süden – einige Zeit, bis sie sich in deutschsprachigen Ländern etablierten. Ihr weltweiter Siegeszug begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg – sogar in Frankreich, wo das Gemüse heute in jede Ratatouille gehört, wurde es noch in den 1930er Jahren scheu als «courgette italienne» angesprochen.

Italien und Frankreich (mehr und mehr aber auch der Rest der Welt) verwenden auch die Blüte der Frucht – als Farbtupfer im Salat, frittiert oder gefüllt. Sie hat einen milden und leicht süsslichen Geschmack. Bei der Zucchini bringen übrigens sowohl die männlichen wie auch die weiblichen Pflanzen Blüten hervor. Die weiblichen Blüten öffnen sich vor den männlichen, verwelken aber unmittelbar nach der Bestäubung, verkümmern, während die Frucht wächst, und fallen schliesslich erschöpft zu Boden. Die Männer hingegen blühen unermüdlich, fruchtlos zwar, aber stolz und voller Kraft. Hätte die kleine Amazone das gewusst, sie hätte wohl die Finger von der Zucchini gelassen – oder aber den ganzen Busch in ihre Kombüse gezerrt.

Dieser Text erschien erstmals am Samstag, 06.09.2014 als Teil der Serie «Mundstücke» im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung», S. 55.