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Der Kühlschrank brachte uns nicht nur die Kälte ins Haus. Sondern auch ein neues kulinarisches Universum. Irgend jemand musste sich allerdings darum kümmern.

von Daniel Di Falco

 

Kuelschrank

 

Mag sein, dass die menschliche Kultur mit dem Feuer angefangen hat, vor einer Jahrmillion: mit dem Kochen, dem Heizen und der Beleuchtung. Aber modern wurde das Leben erst mit der Kühlung. Tatsächlich braucht es mehr (mehr Technik, mehr Geist), um Kälte zu transportieren als Wärme. Darum hat er schon Recht, der Erfinder in «Moskitoküste», einem Roman von Paul Theroux, der eine enorme Eismaschine gebaut hat und nun zusammen mit einem Trupp Indios einen schmelzenden Eisblock über die Berge von Honduras buckeln will. «Eis ist Zivilisation», erklärt er mitten in der tropischen Wildnis: «Es ist der Anfang der Perfektion in einer nicht perfekten Welt.»

Beziehungsweise ihr Ende, sobald es fehlt. Im Sommer 2003 fiel in New York der Strom aus, wegen hitzebedingter Überlastung des Netzes. Der Schaden, den der Black-Out anrichtete, wurde auf eine Milliarde Dollar beziffert – nicht weniger als 250 Millionen davon entfielen auf Lebensmittel und andere Waren in den Fabriken, Läden und Haushalten, die ohne Kühlung kaputt gingen. «Ungekühlt verdirbt die moderne Welt», schreibt Marc Valance in seiner Kulturgeschichte der künstlichen Kälte.

Eine «erhebliche Ersparnis»
Viel prosaischer (wie immer) formuliert es Frau Fülscher. Den Kühlschrank nennt sie 1965 in ihrem Kochbuch noch Eisschrank, und so ein Eisschrank ermögliche, «besonders im Sommer, ein einwandfreies Aufbewahren empfindlicher Nahrungsmittel sowie der Speisereste». Keine kleine Sache, historisch gesehen: Ab 1950 erobert der Kühlschrank die privaten Haushalte dieses Landes (der Tiefkühler kommt später dazu), und die können nun Frischwaren halten und sie ohne jede weitere Verarbeitung konservieren. Der Kühlschrank bedeutet «Unabhängigkeit», wie eine Reklame damals verspricht: Der tägliche Einkauf wird unnötig. Auch Fülscher spricht von einer «erheblichen Ersparnis»; sie mache den Apparat «für jeden Haushalt wünschenswert».

Aber selbstverständlich ist er damals, Mitte der Sechzigerjahre, noch nicht ganz. Das zeigt sich auch daran, dass Fülscher für die Aufbewahrung von rohem Fleisch zwar Kühlschrank und Tiefkühler empfiehlt. Aber auch noch die althergebrachte Methode: den kühlen Keller, wo das Fleisch überdeckt in Gefässen aus Steingut, Glas oder Porzellan gelagert wird.

In China fing es an
Der Kühlschrank erübrigt aber nicht nur diesen Aufwand: Zum Segen der Konservierung kommt ein kulinarischer Fortschritt. Mit diesem Gerät nämlich, so Elisabeth Fülscher, «lassen sich manche erfrischende Speisen herstellen, die immer willkommen sind». Die unzähligen kalten Platten gehören dazu, die bei Fülscher so unverkennbar ein modernes Lebensgefühl verbreiten. Zudem sind es jene Extravaganzen, die erst klar machen, was die Kultur der künstlichen Kälte alles zu verdanken hat: der Joghurt-Eisbecher (Rezept 1328) genau wie der Bananensplit (1302), die Fürst-Pückler-Bombe (1310), die Eismelone (1312), das Soufflé glacé Hawaii (1316) oder der Coupe Monsieur (1321a).

Es war im dreizehnten Jahrhundert nach Christus, als Reisende aus China von Restaurants berichteten, die sich auf geeiste Desserts spezialisiert hatten. Und von Händlern in den Strassen Pekings, die auf ihren Handkarren eine Art Fruchteis verkauften; eine Delikatesse aus halb gefrorenem Milchreis und Fruchtmark. Die Chinesen waren die ersten Glace-Esser auf der Welt (heute sind die Skandinavier die grössten), aber Kühlschränke brauchten sie dafür nicht: Schon ein Jahrtausend vor Christus bauten sie spezielle Keller und lagerten darin den Sommer über Schnee und Eis, um Getränke und Süssspeisen zu kühlen.

Salz oder Strom
Der Kühlschrank hat diesen Luxus zum Alltag gemacht. Bei Fülscher ist er «heute die üblichste Art, Gefrorenes herzustellen». Einen historischen Moment lang dauert aber die alte Ära hier ebenfalls noch an (genau wie mit den Fleischtöpfen im Keller), und zwar mit jener Gefriermethode, die sich speziell für grosse Portionen eignet, ebenso für die «besonders festlich wirkenden Bombenformen», die im Tiefkühlabteil des Kühlschranks keinen Platz haben: Man gefriert Cremes und Fruchtmassen, indem man sie gut in einer Form verschliesst und die dann durch eine Mischung aus Eis und Salz dreht, eine halbe Stunde lang (Rezept 1289). Eis allein ist nicht kalt genug dafür, aber weil ihm das Salz Wärme entzieht, erreicht es Temperaturen von minus zwölf Grad. Wobei man im Winter statt Eis auch Schnee verwenden kann.

Insofern machte der Kühlschrank neben dem Gang in den Keller auch jenen nach draussen überflüssig. Er war, wie alle neuen Geräte und Maschinen im Haushalt, eine «grosse Hilfe zur Rationalisierung», wie sich das Elisabeth Fülscher vorstellte. Unter dem Strich allerdings wurde die Arbeit in der Küche nicht etwa weniger. Die künstliche Kälte brachte mehr Auswahl, mehr Abwechslung, mehr Raffinesse auf den Tisch ‒ aus den neuen Möglichkeiten wurden neue Ansprüche, und das ist die historische Regel auch für die Waschmaschine, das elektrische Bügeleisen und die ganze übrige Technisierung des Haushalts. So, wie «manche erfrischenden Speisen immer willkommen sind», war es eben auch die Hausfrau an ihrem Arbeitsplatz in der Küche, wo sie die nicht perfekte Welt noch ein bisschen perfekter machen sollte.