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Der Garten der Lüste - Die Erdbeere als ambiwalentes Symbol für Bescheidenheit wie Weltlust

Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch- Die Erdbeere als ambivalentes Symbol für Bescheidenheit und Weltlust
(Bildausschnitt über www.wikipedia.org)


Erdbeere – Sehnsucht nach Sinnesfreuden

Jedes Jahr spielt sich dasselbe ab: Orangen und Mandarinen laufen aus, den Äpfeln merkt man die Lagerhaltung an und man kann die Erdbeeren kaum erwarten. Hieronymus Bosch hat auf seinem Bild «Garten der Lüste» die Freuden des Erdbeergenusses dargestellt, Madame Tallien, eine Frau in der Umgebung Napoleons, nahm Erdbeer-Bäder. Kurz, Erdbeeren sind ein Symbol für Sinnesfreuden.

Auch wir stürzen uns auf die Vorboten des sonnigen Wetters und kaufen Erdbeeren aus Spanien und Italien. Häufig stellen wir dann ernüchtert fest, dass die Beeren zwar gross und schön, aber nicht aromatisch sind und wir besser auf einheimische gewartet hätten.

 

Erdbeeren, eine akzeptierte Fehldeklaration

Die «Königin der Beeren» ist botanisch gar keine Beere, sie gehört zur Familie der Rosen und Sammelnussfrüchten. Nicht die markanten «Beeren» sind die Fruchtkörper, sondern die kleinen Kerne, welche auf dem Blütenstand verteilt sind. Auch die Blüten sind keine «normalen» Blüten, sondern Trugdolden. Für die Vermehrung nehmen die kleinen Kerne ein Vogel- oder Kleintier-Taxi: Die Tiere fressen die auffälligen Früchte und scheiden irgendwo die Nüsschen aus. Je nach Verhältnissen wachsen dann die neuen Pflanzen heran. Nebst dieser sexuellen Vermehrung pflanzen sich Erdbeeren auch mit Ablegern fort.

Diese Fortpflanzungsarten hätten ohne menschliches Zutun allerdings nie die bei uns so beliebten Erdbeeren hervorgebracht. Diese sind nicht das Produkt sorgfältiger Weiterzucht unserer Walderdbeeren, sondern Nachkommen von Vorfahren aus Nord- und Südamerika, welche im 18. Jahrhundert ohne Biodiversitäts-Abkommen, Gutachten von Ethikkommissionen und Risikofolgeabschätzungen importiert und gekreuzt wurden. Inzwischen sind auf dieser Grundlage über 1000 neue Sorten entstanden, jährlich kommen neue dazu.
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Erdbeeren – vielfältige Produktion mit beachtlichem Resultat

Die Varianten, Erdbeeren zu produzieren, sind vielfältig. Setzlinge werden entweder als Topfgrünpflanzen aus der Kultur oder als Frigopflanzen dem Kühlschrank entnommen und gepflanzt. Der Biolandbau kennt nebst dem Anbau üblicher Gartenerdbeeren die Erdbeerwiese: Das ist eine Kreuzung von Wald- und Gartenerdbeere, bei der alle Ausläufer stehen gelassen werden. Diese Kulturform eignet sich für Liebhaber, zur Direktvermarktung oder zum Selbstpflücken.
Beim biologischen wie auch beim konventionellen Anbau werden zur Kultivierung von Gartenerdbeeren Dammkulturen, Vliesabdeckungen und Hochtunnels eingesetzt. Hors-sol Kulturen kommen beim Bio-Landbau nicht zum Einsatz.

Vielfältig sind auch die Bekämpfungsarten der Schädlinge, welche sich für Erdbeeren interessieren. Im integrierten Landbau werden verschiedene organisch-chemische Substanzen angewendet, im Bio-Landbau Schwefelbrühe, Seifenpräparate und Kupfer. In diesem Zusammenhang geraten immer wieder «Rückstands-Cocktails» in die Schlagzeilen. Zu diesen ist zu sagen, dass der Einsatz verschiedener Pflanzenschutzmittel schon im Hinblick auf die Resistenzbildung sinnvoll sein kann und heute auch Multirückstände durch Qualitätskriterien und das Lebensmittelrecht begrenzt werden. Bezüglich des Gesundheitsrisikos kommt den Rückständen praktisch keine Bedeutung zu.

Trotz der Vielfalt der Anbaumethoden und der Schutzmassnahmen erfüllt die Schweizerische Produktion die Bedürfnisse des Marktes nicht: Mit einer Produktion von über 5000 Tonnen wird etwa ein Drittel des Bedarfs gedeckt, zwei Drittel müssen importiert werden.

Wer Lust hat, kann auch selbst Erdbeeren produzieren, sei es im Garten oder auf dem Balkon. Der neuste Hit kommt aus den USA: Window-farms. In einem Gestell mit gebrauchten PET-Flaschen, Wasserpumpe und Nährlösung lassen sich an jedem Zimmerfenster unter anderem auch Erdbeeren züchten. Wie auch immer, die Resultate sind beachtlich.

Erdbeeren haben einen höheren Gehalt an Vitamin C als Orangen, 200 g der Früchte decken den Tagesbedarf. Ausserdem sind sie reich an Folsäure und Mineralstoffen. 100 g haben lediglich einen Nährwert von 36 kcal, da die Früchte nur 7 g Kohlenhydrate, 0.5g Fett und 0.7 g Proteine enthalten. Die Richtigkeit der Empfehlung, fünf Mal am Tag Obst und Gemüse zu konsumieren, findet bei diesen Früchten eine weitere Bestätigung.

Lediglich 0.01% ist der Gehalt an Aromastoffen. Aus der gesamten Ernte der Schweiz könnten nur 500 kg Aroma-Konzentrat gewonnen werden. Von den 200 flüchtigen Substanzen sind etwa 20 entscheidend für den geruchlichen und geschmacklichen Gesamteindruck. Eine eigene Forschungsrichtung befasst sich mit der Herausforderung, diese Komponenten zu bestimmen und aus verschiedenen Quellen so zu kombinieren, dass das Ergebnis dem aus Erdbeeren hergestellten Aroma möglichst entspricht.
Die Saga, wonach Erdbeeraroma aus Sägespänen gewonnen werde, hält sich beharrlich, ist aber völlig unzutreffend: Ausser Zimt, Eichenholz (bei Wein) oder Vanille-Stangen kommen nirgends Bestandteile von Holz zur Aromatisierung zum Einsatz. Damit Konsumenten nicht getäuscht werden, muss bei der Deklaration zwischen natürlichen und anderen Aromen unterschieden werden

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Erdbeeren – Qual der Wahl und was dann?

Über 1000 verschiedene Sorten, verschiedene Herkunftsländer, verschiedene Zuchtverfahren und Anbaumethoden – es stellt sich die Qual der Wahl.

Vorab die Frage nach dem ökologischen Fussabdruck: Zu diesem ist festzuhalten, dass für alle, die diesen klein halten wollen, lufttransportierte Früchte oder solche aus geheizten Treibhäusern ausser Betracht fallen. Die Unterschiede zwischen den übrigen Produktionsarten sind vergleichsweise gering, entscheidend ist vor allem die Qualität der ökologischen Ausgleichsflächen. Wer etwas für die Umwelt tun will, achtet besser auf eine gute Resteverwertung, einen bescheidenen Fleischkonsum sowie auf das Transportmittel bei der Einkaufstour.

Bleibt also noch die Frage nach der Qualität. Auch zu dieser kann festgestellt werden, dass keine Anbaumethode Garant für bessere Qualität ist. Erdbeeren sind empfindlich auf hohe Temperaturen und Nässe während der Reife, Faktoren, die in einer Hors Sol Kultur weitgehend gesteuert werden können. Demgegenüber können bei günstigen Verhältnissen Freilanderdbeeren diese qualitativ übertreffen. Wichtiger als die Anbaumethode sind Sorte, Reifegrad und Frische, bzw. Lagerung der Früchte. Dementsprechend sollte man die Qualität nicht anhand der Etiketten, sondern der Früchte selbst beurteilen:

  • Sind sie ausgereift? Reife Früchte haben keine weissen Spitzen. Sind solche vorhanden gilt es zu bedenken, dass Erdbeeren, im Gegensatz zu anderen Früchten, praktisch nicht nachreifen.
  • Sind die Früchte in einem guten Zustand? Weisen sie keine Druckstellen, Flecken, vertrocknete Kelchblätter, Deformationen, keinen Erdbesatz, weder Mehltau noch Schimmel auf?
  • Nimmt man Erdbeerduft oder nur den Geruch der Kartonverpackung wahr? Weist deren Unterseite Saftspuren auf? Falls ja, handelt es sich mit Sicherheit nicht um allzu frische Ware.

Da die Früchte nur kurz haltbar und empfindlich sind gilt klar: Je frischer und näher geerntet, desto besser.

Wegen ihrer Verletzbarkeit sollte man Erdbeeren nicht mit einem scharfen Wasserstrahl abspritzen, sondern in einer Schüssel spülen. Die Lagerfähigkeit bei Raumtemperatur ist sehr begrenzt, Aromastoffe sind zudem flüchtig: Es empfiehlt sich ein rascher Konsum. Im Kühlschrank beträgt die Haltbarkeit im Obst- und Gemüsefach 1-2 Tage. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, dass die Früchte im eigenen Saft herumliegen und verschimmelte oder angefaulte Exemplare andere anstecken. Erdbeeren eignen sich zum Tiefkühlen, die Haltbarkeit beträgt in der Regel 9 – 12 Monate, sie hängt wie bei all diesen Produkten von der Qualität der Ausgangsmaterials und der Gefriergeschwindigkeit ab.

 

Erdbeeren – viel Freude beim sinnlichen Genuss

«Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum» bemerkt Mephisto im Faust. Rot sind reife und aromatische Erdbeeren: Geniessen wir sie einfach, in welcher Form auch immer. Viel Vergnügen!
Dr. Urs Klemm, Lebensmittelchemiker

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Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch (Bildausschnitt über www.wikipedia.org)