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Von Christoph Schuler

Der Mittagstisch im Strapazin-Atelier im Zürcher Kreis 4 ist kulinarisch hervorragend und macht aus einer Ateliergemeinschaft eine Familie.

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Das Strapazin-Atelier liegt etwas versteckt an einer Seitenstrasse zwischen Hardplatz und Schlachthof, in einem hohen, weiten Loft, einer früheren Fensterfabrik, und dient 17 Leuten – Zeichnern und Zeichnerinnen, Trickfilmerinnen, Grafikern, Schreibern und einem Verleger – als Arbeitsplatz; seinen Namen hat es vom Comic-Magazin Strapazin, dessen Redaktion sich ebenfalls hier befindet. Jeden Mittag wird in der nicht allzu geräumigen Küche gekocht. «Wirklich jeden Mittag, und das seit über zehn Jahren!», betont Comiczeichnerin Kati Rickenbach.

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«Heute gibt’s Fenchelsalat an einer Zitronen-Olivenöl-Sauce, dann im Ofen gebackenes Gemüse – Pastinaken, Randen, Kartoffeln der Sorte ‹Blauer St. Galler› und Karotten – mit Koriander-Aioli, einem Dip aus Rahmquark und Rucola, dazu getrüffelte Polenta.» Auf das Rezept ist Kati in einer Sonntagszeitung gestossen. «Ich hatte vorher noch nie von Pastinaken gehört und war gespannt, wie sie mir und meinem Mann schmecken würden. Unterdessen lieben wir das Gemüse über alles, sogar mein zweijähriges Kind isst es mit Genuss, vielleicht, weil es leicht süss ist – das Gemüse, meine ich. Meine Tochter allerdings auch!»

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Die Polenta mit getrockneten Trüffelscheibchen hat Kati im Coop gekauft, ebenso das Biogemüse und die Schokolade-«Branches», die es zum Dessert gibt. «Alles in allem habe ich für den Einkauf etwa sechzig Franken ausgegeben. Das ist eher viel für ein durchschnittliches Mittagessen im Strapazin-Atelier, die Trüffelpolenta hat die Kosten in die Höhe getrieben. Ich bin halt echt süchtig danach!», sagt Kati und beginnt, die hübschen blauen Kartoffeln zu schälen.

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«Früher gingen einige von uns über Mittag zum Türken am Hardplatz und holten sich dort Kebabs. Abgesehen davon gibt’s auf dieser Seite der Geleise keine Möglichkeit, sich zu einem vernünftigen Preis zu verpflegen», meint David Basler, Comicbuch-Verleger, der seit 20 Jahren hier arbeitet, «deshalb haben wir begonnen, selber zu kochen. Seither essen wir nicht nur qualitativ viel besser, das Mittagessen bringt auch alle zusammen an einen Tisch, was sich auf unsere Ateliergemeinschaft äusserst positiv auswirkt. Und auch unsere Gäste schätzen es sehr, bei uns am Tisch sitzen zu dürfen, statt in einem mittelmässigen Restaurant essen zu müssen.

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Am Mittagstisch können wir zudem alles besprechen, was andernorts mühsam einberufene Sitzungen benötigt.» Normalerweise finden sich zwischen acht und zwölf Leute zum Essen ein und bezahlen dafür pro Kopf acht Franken, der Betrag hat sich seit Jahren nicht verändert. «Finanziell lohnt sich das Kochen im Atelier natürlich nicht», sagt Kati, «aber ein gemeinsames Essen verbindet ungemein. Hier werden die neusten Fernsehserien besprochen, man lästert über Abwesende, spricht über die Arbeit und legt fest, wer am nächsten Tag kocht.»

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Es gibt nur ein paar wenige, die gar nie kochen, und andere, die ausschliesslich Risotto oder Spaghetti al Tonno im Repertoire haben, aber den Künstlerinnen und Künstlern, die meist schon seit vielen Jahren in diesem Atelier arbeiten, ist gute Verpflegung über Mittag wichtiger als kulinarische Höhenflüge.

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Heute jedenfalls scheint es allen, die um den grossen Tisch zwischen Leuchtpult und Comicbüchern sitzen, hervorragend zu munden, und die Schoggistängeli als Dessert garantieren, dass niemand hungrig vom Tisch gehen muss. Nur einer der älteren Zeichner, ein Bündner und bekennender Fleischesser, scheint etwas zu kurz gekommen zu sein und holt sich ein grosses Stück Käse aus dem Kühlschrank …

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