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Hört man das Wort Miesmuscheln so rauscht das Meer zwischen den Vokalen. Bei Moules ist dies anders. Das französische Wort trägt die Tiefe der See in sich und birgt in seiner Lautkomposition jene Welt, die so tief im undurchsichtigen Blau liegt, dass das Rauschen schon entschwunden ist, wenn der Klang bei uns ankommt.

von Valérie-Katharina Meyer
Moules
Zu Elisabeth Fülschers Lebzeiten waren Moules ein kostbarer Luxus, den man sich nicht täglich leisten konnte. Mit den grossen Muschelzuchten und den neuen Transportmöglichkeiten hat sich dies aber geändert: Die Moules sind massentauglich geworden. Dieser Blogbeitrag möchte den Miesmuscheln ihre Fülschersche Besonderheit zurückgeben.

1. Der Klang:
Während ich die meerfrischen Moules wasche und die vereinzelten Barthaare entferne, wandert mein Blick über die eigenartig dunklen Ovale. Moules sind alte Gestalten: Schon vor 419 Millionen Jahren, im Zeitalter des Devons lebten sie auf unserer Erde. Das habe ich irgendeinmal gelesen. So schwebt für mich seither diese grosse Zahl über diesem kleinen Tier.
Man merkt ihnen dieses Alter an, denke ich mir, während ich die Moules verlese. Die schwarzschimmernden Schalen sind gerillt und hart, die abgeschliffenen Kerben und die leicht gewölbte Form sind in ihrer urtümlichen Einfachheit schön.
Mich beeindruckt, dass die Tiere mit ihrem Tod ihre schützenden Schalenhälften öffnen und sich somit gleichsam als Nahrung darbieten. Das wirklich Faszinierende an diesen Wesen ist aber, dass sie, solange sie leben, ihr Inneres, ihr weiches Dasein verbergen.
Sobald die Moules im kräutergewürzten Weissweinsud liegen, gilt es zu warten, bis die Schalen sich öffnen. Dabei rühre ich die Moules hin und wieder mit einem Holzlöffel. Und wenn die Muschelschalen aneinanderschlagen, entsteht dieses rollende, hohltönende Geräusch, das klingt und verklingt. Kein anderes Gericht tönt beim Kochen wie Moules, wenn sich ihre Schalen aneinander reiben und gegen die Pfannenwand schlagen. Es tönt dunkel und hell zugleich und es ist zunächst nicht vorstellbar, dass aus dieser Klangwelt ein Gericht entsteht.

2. Der Duft
Steigt der Dampf aus dem Topf, dann kommt damit auch der Duft. Der Duft ist fein und zart vom Wein, würzig von der Zwiebel. Je mehr Moules sich öffnen, desto intensiver riecht man die Ferne ihrer Herkunft, die Küstenluft von der Bretagne, das Salz der Nordsee. Viele sagen, die Moules seien jene Muscheln, die nicht so stark nach Meer riechen würden. Sie haben Recht: Moules riechen nicht nach Meer; aber: Moules duften nach der Tiefe der See. Dieses dezente Spürenlassen ihres Ursprungs birgt einen besonderen Reiz. In diesem Duft erkennt man auch, warum wir dieses Gericht fast immer Moules und nur selten Miesmuscheln nennen: Denn Moules als Wort bringt uns schon im Voraus eine Ahnung von dem Duft dieses Gerichts auf den Teller.

3. Das Essen

Immer wieder habe ich gestaunt, wie einige Leute Moules mit Löffel und Gabel essen. Nicht ein einziges Mal haben sie dabei die schwarzen Schalen mit ihren Händen berührt. Ich habe Moules noch nie mit Besteck gegessen. Nur wenn man die beiden Schalenhälften mit blossen Händen ganz auseinandernimmt, sieht man das helle Perlmuttleuchten im Inneren der Schalenhöhle. Nur wenn diese Schale zum eigentlichen Löffel wird, von dem man den kleinen Schneckenkörper zusammen mit dem Weinsud schlürft, hat man den gesamten Duft von Moule und Petersilie, Wein, Meer und Zwiebel auf der Zunge, spürt man das Echo des Schalenklangs beim Kochen auf der Lippe.

Und wenn man eine leere Muschelhälfte einmal kurz ans Ohr hält, dann hört man vielleicht das Meer dabei weiterrauschen, vielleicht sind es aber auch die 419 Millionen Weltenjahre.


Valerie-Katharina Meyer (1988) studiert an der Universität Zürich Germanistik und Geschichte, arbeitet daneben als Texterin und schreibt für verschiedene literarische und kulturelle Zeitschriften. Am liebsten aber kocht sie sich durch den Alltag, spielt mit Wörtern und lebt von Träumen.