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Wer in Moskau einen russischen Salat bestellt, bekommt vielleicht einen «Hering im Pelzmantel» aufgetischt…

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(Bild: Hyatt Hotel)

Es gibt in Russland nicht einen «Russischen Salat», sondern eine Vielzahl von deftigen salatartigen Vorspeisen (Sakuski). Sie heissen «Hering im Pelzmantel», «Vinaigrette» (wer da eine Vinaigrette-Sauce erwartet, wird enttäuscht) oder «der Hauptstädtische»…

Eigentlich kann ich aber nur über Moskau mit einer gewissen Autorität schreiben, wo ich während eineinhalb Jahren gelebt habe. Betritt man ein Moskauer Feinkostgeschäft, begegnet man grossen Vitrinen voll von diesen Vorspeisen, die gerne geschichtet in Glasschüsseln angerichtet sind. Sie enthalten viel Mayonnaise und häufig Randen – langsam rinnt dann der rote Farbstoff in die Mayonnaise und verfärbt das Gericht rosarot. Eine Vorstellung von diesem Anblick erhält, wer «russischer Salat» als Bildersuche bei Google eingibt.

Erst ganz zum Schluss meiner Moskauer Zeit habe ich mich an die Salate gewagt, da ich von meiner Familie eine Abneigung gegen Mayonnaise mitbekommen habe. In meiner Unikantine wurden die Salate für umgerechnet weniger als einen Franken auf zerbeulten Blechtellern angeboten, so dass man sich nach Herzenslust durchprobieren konnte.

Der Salat, der am ehesten unserem «Russischen Salat» entspricht, ist der «Olivier-Salat». Die Legende besagt, dass der französische Koch Lucien Olivier in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts diesen Salat für das vornehme Moskauer Restaurant Eremitage kreierte. Die Zutaten waren exklusiv: Kalbszunge, das Fleisch wilder Haselhühner, Flusskrebse, Trüffel…

Im Verlauf der Zeit wurden die Zutaten durch einfacher erhältliche und erschwinglichere ersetzt.
Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Jede Familie hat ihr eigenes. Traditionell wird der «Olivier-Salat» zu Neujahr gegessen. Die ganze Familie sitzt vor dem Fernseher und rüstet und schneidet die Zutaten. Es werden grosse Mengen des Salates zubereitet, die dann im Verlauf der Neujahrsfeiertage gegessen werden (die Neujahrsfeiertage dauern in Russland vom 1.-10. Januar).

Meine Freundin Masha, eine echte Moskauerin, berichtete mir, dass der Salat in ihrer Familie aus gekochten Kartoffeln, Eiern, eingelegten Gurken, Dosenerbsen, Zwiebeln (gewässert für einen milderen Geschmack), Fleisch und Mayonnaise besteht. Als Fleisch kann Bär (!), Truthahn, Poulet oder am besten, davon ist Masha überzeugt, ganz klassisch sowjetisch eine aufschnittartige Fleischwurst verwendet werden. Nach Belieben kann der Salat mit frischer Gurke, Äpfeln («Wieso?» findet Masha), Karotten («Geht gar nicht!» findet Mashas Mutter) oder Petersilie verfeinert werden.

Приятного аппетита! Priatnava appetita! Guten Appetit!

Mit diesen Angaben, dem überarbeiteten Rezept aus dem Blog («Nr. 121b: Russischer Salat») und meinen russischen Geschmackserinnerungen habe ich einen eigenen russischen Salat gekocht. Ich habe in meiner Nachbarschaft in einem russischen Lebensmittelgeschäft (die Freuden des Grossstadtlebens…) herrliche Salzgurken gefunden. Die russischen eingelegten Gurken werden in einer Salzlake zubereitet und schmecken viel frischer und weniger sauer als unsere Essiggurken. Stangensellerie gibt dem Salat eine interessante Textur, dank Crème fraîche wird die Sauce leichter (Sauerrahm (Smetana) ist eine sehr wichtige Zutat in der russischen Küche) und Dill schmeckt für mich einfach nach Russland.


Renate Grathwohl (1978) ist Ärztin. Sie lebt mit ihrer Familie zur Zeit in London. Mit dem Fülscher Kochbuch wuchs sie schon auf. Zu Geburtstagen gab es in ihrer Kindheit traditionell den Fülscherschen Schokoladekuchen. Variante «sehr gut» wenn die Mama, «besonders reich» wenn der Papa buk. An ihrem Geburtstag gibt es inzwischen Erdbeerbowle und Spaghetti mit Hackbällchen – die Liebe zum Kochen und Essen ist geblieben.