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Heute würde ein Koch seinen Ruf damit vergiften. Frau Fülscher aber griff beherzt zu Aromat. Beziehungsweise Fondor.

von Daniel Di Falco
Streuwürze

Es gibt im Wirtschaftsleben einen Augenblick, der klar macht, dass das Rennen längst gelaufen ist; dass alles Geld und aller Glaube nichts nützen wird gegen die Konkurrenz. Und zwar ist das der Augenblick, da man deren Produkte mit den eigenen verwechselt. Vor einiger Zeit ist das dem Chef von Nestlé Schweiz passiert, als er der Presse die Marke Maggi erklären wollte (die Nestlé gehört, schon seit 1947). Maggi also, sagte der Mann, stehe in der Schweiz für Fertigsuppen, erstens. Sowie, zweitens: für «Würzmittel wie Aromat».
Wie Aromat? Ist nicht von Maggi. Sondern Knorr. Also von der Konkurrenz. Maggi hat ein eigenes gelbes Pulver, es heisst Fondor und ist eine Kopie von Aromat. 1954 kam Fondor auf den Markt, nur zwei Jahre nach dem Original, aber das muss bereits zu spät gewesen sein. Aromat ist, und das rasend schnell, zum Tyrannosaurus-Produkt geworden: zur Spezies, die alle anderen beherrscht. Papiertaschentücher? Tempo. Mundwasser? Odol. Und wer an streufähige Geschmacksverstärker denkt, der sagt nicht Fondor. Und auch nicht Mirador (Migros), Picanta (Hügli) oder Aromix (Oswald). Sondern Aromat.

Die Brücke über dem Röstigraben

Hatte Elisabeth Fülscher einen Sinn für Artenvielfalt? In der 1966er-Ausgabe ihres Kochbuchs greift sie zu Fondor; beispielsweise für die Bouillonsauce (Nr. 554) oder die Pilzküchlein mit Brot (Nr. 362), und neben dem Rezept ist ganz ungeniert die Fondor-Dose abgebildet. Die Linsen- oder Erbsmehlsuppe (Nr. 49) derweil ist mit Aromat gewürzt, genau wie die eingerührte Gemüsecremesuppe (Nr. 50). Mit Fondor wiederum die Zwiebelbouillon (Nr. 2), die Flockensuppe mit Gemüse (Nr. 38) oder die Reiscremesuppe (Nr. 57). Fondor oder Aromat? Da steckt wohl kein System dahinter, und auch Fülschers Würzgrundsätze in der Abteilung «Fachausdrücke und Küchentechnisches» verraten keinerlei Markenpräferenz: «zuerst das nötige Salz, dann evtl. noch Muskat, Kräuterpulver, Maggi-Fondor, Knorr-Aromat, Liebig-Fleischextrakt, Wein, Zitronensaft usw.».
Man könnte das auch Föderalismus nennen, angesichts der Übermacht von Aromat, die schon damals übers Betriebswirtschaftliche hinaus reichte. Kaum hatten es nämlich die Knorr-Labors in die freie Waldbahn hinaus entlassen, da besetzte es nicht nur den Markt: Es eroberte auch das Selbstverständnis der Nation. Im Tessin ist es zwar nach wie vor nicht besonders populär (die Italianità im Geschmacksempfinden, höchstwahrscheinlich). Doch zwischen Genf und Romanshorn hat man sich längst darauf geeinigt, in diesem Produkt so etwas wie eine gemeinsame Heimat zu erkennen. «Au-dessus du Röstigraben existerait-il un ‹Aromat-Brücke›?» Das fragte sich die Freiburger Zeitung «La Liberté», als die Schweiz 2002 den 50. Geburtstag von Aromat feierte. Und sie war sicher, dass das Ding etwas zu tun habe mit unserer «Identität». Geschmack der Heimat, Gewürz der Nation – wo sonst gebe es eine Marke, derart bekannt und beliebt bei einem ganzen Volk?

Ein Aromat in Titos Staat

Die Frage war rhetorisch gemeint. Allerdings: In Jugoslawien gab es das auch – als es Jugoslawien noch gab. Vegeta war das Aromat in Titos Staat, und es stammt ebenfalls aus den Fünfzigern. Im schaffhausischen Thayngen feilten die Versuchsköche von Knorr damals an ihrem Stoff, mit dem sie die Herrschaft von Maggis brauner Flüssigwürze brechen wollten – auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, neunzig Kilometer vor Zagreb, war derweil eine Frau namens Zlata Bartl an der Arbeit. Sie hatte Philosophie studiert, in Sarajevo unterrichtet und war dann Chemikerin geworden.
1956 hatte Bartl als Laborantin bei der Suppenfabrik Podravka angefangen, und schon drei Jahre später, unter ihrer Leitung, kam Vegeta auf den Markt, eine Mischung aus Gemüsextrakten, Salz und Glutamat, fast wie Aromat. Bartl erhielt einen Orden und hiess nur noch «Tante Vegeta», doch ihre Schöpfung wurde genau wie Aromat erst mit zwei bestimmten Massnahmen zum Erfolg: mit der Umstellung von der Würfelform auf das praktischere Granulat. Und mit massivem Marketing.
Knorr platzierte Aromat mit den berüchtigten schmiedeisernen Menagen auf den Tischen der Restaurants landauf, landab; Podravka sponserte eine Kochsendung im Staatsfernsehen. Sie hiess «Die kleinen Geheimnisse der grossen Chefs», und eines dieser Geheimnisse war das gelbe Pulver. So verbreitete sich der Einheitswürzgeschmack im Vielvölkerstaat, und Vegeta wurde wenn auch nicht zum Kitt, so doch zum Sinnbild der Nation. Eine Aromat-Karriere.

Viel Charme und etwas Vegeta

Den Bürgerkrieg in Jugoslawien hat Vegeta dann nicht verhindern können. Das bekam auch der Fernsehkoch zu spüren. Stevo Karapandza hatte die ganze kulinarische Vielfalt Jugoslawiens praktiziert und sie mit viel Charme und etwas Vegeta gewürzt, jeden Donnerstag, fast zwanzig Jahre lang. Doch über Nacht wurde er zum Verfemten des neuen Regimes: Die kroatischen Nationalisten verbannten ihn vom Bildschirm, und auch als Sous-Chef eines Nobelhotels in Zagreb wurde er wortlos kaltgestellt – Karapandza war zwar Kroate, doch serbischer Abstammung.
Vegeta hat Jugoslawien überlebt. Heute wird es in rund vierzig Länder exportiert und auch in Ungarn und Polen hergestellt. Der Podravka-Konzern nennt es im Internet ein «original kroatisches Produkt», und die berühmte Kochsendung erwähnt er ohne den berühmten Koch. Stevo Karapandza ist ausgewandert – in die Aromat-Nation. Er hat heute einen Schweizer Pass und wirtet an der Limmat, in der «Sonne» im aargauischen Ennetbaden. Wenn er Besuch von Journalisten hat, erzählt er von verlorenen Freunden und einer verlorenen Heimat, doch stolz zeigt er ihnen eine kroatische Illustrierte von 2004, die Ausgabe mit der Wahl der hundert populärsten Kroaten aller Zeiten: Tito auf Platz 1, Karapandza auf Platz 10. Vegeta, das «Jugo-Aromat», wie er es nennt – das sucht man in seiner Küche allerdings vergeblich.
So geht es wiederum auch Aromat: von den Kochkünstlern verschmäht, vom Volk geliebt, wenn auch eher verstohlen. 1500 Tonnen werden in der Schweiz jährlich konsumiert – macht mehr als ein Viertelkilogramm pro Kopf. Oder rund drei Dosen, umgerechnet. Und das trotz der Glutamat-Panik. Und trotz der öffentlichen Macht der Industrieproduktverteufler. Nochmals «Fachausdrücke und Küchentechnisches» mit Elisabeth Fülscher, ebenso beherzt wie unkorrupt: «Maggi-Produkte» seien eine «grosse Hilfe» zum «Zubereiten oder Verbessern von Bouillon, Suppen, Saucen», heisst es da. Und: «In der heutigen Küche sind Knorr-Bouillon, -Saucen, -Aromat usw. fast unentbehrlich.»
Was praktisch ist, muss eben nicht geschmacklos sein. Eine unsterbliche Wahrheit, sehr wahrscheinlich.