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Letzte Ostern hat es in der Schweiz geschneit – ein Vorteil beim Eiersuchen fanden die einen, eher ein Nachteil beim Zusammenstellen des Ostermenus fanden andere.

Franziska Schürch

Wollte man sich nicht mit Spargeln aus Südafrika, «neuen» Kartoffeln aus Israel und australischem Lamm behelfen, kam einmal mehr Sauerkraut und Wurst auf den Tisch. Ostern ist ein traditionelles Fest. Seine Interpretation ist ein Spiegelbild der heutigen Gesellschaft, demensprechend vielfältig sind die Gestaltungsmöglichkeiten, auch in Bezug auf das Menu.

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Weshalb Ostern immer ein anderes Datum hat

Wobei sich gerade das mit dem Menu dieses Jahr einfacher anlässt. Grund dafür ist nicht (nur) die Klimaerwärmung, die den Winter, im Unterland zumindest, ausfallen liess, sondern dass dieses Ostern fast einen Monat später stattfindet. Damit stehen die Chancen gut, dass unsere badischen Nachbarn schon Spargeln in die Schweiz einführen und der Salat frisch und knackig in der Region gewachsen ist.

Weihnachten findet immer am 25. Dezember statt. Die meisten anderen christlichen Feiertage sind beweglich. Ostern ist zwischen dem 22. März und dem 25. April, Aschermittwoch, Auffahrt und Pfingsten richten sich danach. Beschlossen hat dies das Konzil von Nicea, 325 nach Christus: Ostern, so die Regel, ist am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Deshalb wechselt jedes Jahr das Datum, was eine gewisse Flexibilität punkto Menu bedingt.

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Die Tischgemeinschaft – ein Phänomen der Moderne

Neben Ostereierfärben und einem Zuviel an Schokolade ist ein Festmahl im Kreise einer grossen Tischgemeinschaft für viele der Inbegriff von Ostern. In einer Studie des Bonner Kulturwissenschaftlers Gunther Hirschfelder aus dem Jahr 2005 über die Gestaltung von Weihnachten, nannten denn auch die meisten Befragten neben Essen und Trinken, Familie und Gemeinschaft als zentrales Festelement.

Das gemeinsame Essen und Trinken an einem Tisch wird heute von einer Mehrheit der Gesellschaft aber auch von Disziplinen wie der Entwicklungspsychologie oder der Pädagogik, positiv beurteilt. Man interpretiert die Tischgemeinschaft als Gegenbewegung zur Pluralisierung und Individualisierung der heutigen Gesellschaft: Bei gemeinsamem Essen würde das soziale ABC und gesundes Essverhalten eingeübt.

Obwohl die moderne Tischgemeinschaft an vermeintlich historische Formen des Essens in einem idealisierten bäuerlichen Umfeld anknüpfen, sind sie gerade in ihrer Individualität und Selbstbestimmtheit Ausdruck unserer Gesellschaft. Insbesondere die streng hierarchisch-patriarchalische Organisation und Rangfolge der historischen Tischgemeinschaften steht in einem eklatanten Widerspruch zu unseren Vorstellungen des gemeinsamen Kochens, Essens und Trinkens. Schliesslich wollen wir heute selber wählen, mit wem wir feiern, was wir kochen und wann ein Essen beendet ist.

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Der Festtag als Abgrenzung zum Alltag

Heute, da das gemeinsame Essen im Alltag vieler keine grosse Bedeutung hat, ist es als Abgrenzung ein zentrales Element der Festkultur geworden. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind ein Plus an Qualität und Quantität der Speisen und die Symbolhaftigkeit von einzelnen Nahrungsmitteln. Dies war früher so und ist es bis heute.

Wie die Bonner Studie zeigt, sind die wichtigsten Nahrungsmittel an Festtagen Fleisch, Zucker und Alkohol. Auch an Ostern: Nach allen Regeln der Kunst wird ein Lammbraten mit neuem Gemüse, Spargel und einem Osterkuchen zubereitet. Wobei heute sicherlich die wenigsten das Osterlamm als «agnus dei» also als Zeichen für die Auferstehung Christi verstehen. Vielmehr erhalten Themen wie Qualität, tiergerechte Fleischproduktion oder Regionalität einen hohen symbolischen Wert.

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Vor dem Festen muss man Fasten

Das Osterfest ist eine grosse Schlemmerei. Und so richtig zuschlagen darf man, weil zuvor 40 Tage lang gefastet wurde. Auch das vorösterliche Bussfasten hat eine moderne Interpretation: Manche nutzen heute die Zeit, um eine Entschlackungskur zu machen, etwas Übergewicht loszuwerden oder um sich selbst zu beweisen, dass man nicht jeden Abend ein Glas Wein braucht. Andere wiederum halten die Fastenzeiten ein, um sich seiner eigenen christlichen Wurzeln wieder bewusst zu werden. Dafür werden auch neue Formen des Fastens ausprobiert: Man verzichtet nicht einfach auf Fleisch oder Eier, sondern auf eine (zu) lieb gewonnene Gewohnheit.

Eine Familie die vor zwei Jahren beschloss, die Fastenzeit für sich neu zu interpretieren erzählt: Die Mutter verzichtete während sechs Wochen auf Zucker und Alkohol, eines der Kinder entsagte dem abendlichen Fernsehschauen, die jugendliche Tochter übte sich in Internet-Abstinenz, während der Vater sich den Genuss von Alkohol und Pommes Chips versagte. Die Familienmitglieder überlegten sich vor dem Fasten sehr genau, auf was sie kaum verzichten konnten – und verzichteten genau darauf.

Anstrengend und schwierig sei es gewesen, aber auch sehr lustig, vor allem, weil sie nicht alle auf das Gleiche verzichteten. Fasten und Verzicht wurde, obwohl individuell interpretiert, zu einem Familienprojekt, das mit einem gemeinsamen Ausflug belohnt wurde. Der kleinen Tochter gefiel das so gut, dass sie sich seit Wochen bereits wieder damit beschäftigt, auf was sie dieses Jahr verzichten könnte. Den Eltern jedoch hat die Zeit gehörigen Respekt eingeflösst – Aschermittwoch und der darauf folgenden Fastenzeit sehen sie eher mit leichter Nervosität entgegen.

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→ Rezept Kleine Kalbsröllchen (Paupiettes de veau valaisannes), Fülscher Nr. 730



Schürch & Koellreuter
Franziska Schürch (*1972), Kulturwissenschafterin und Isabel Koellreuter (*1974), Historikerin führen zusammen die Firma Schürch & Koellreuter Kulturwissenschaft und Geschichte. Sie arbeiten seit vielen Jahren im Bereich der Ernährungsgeschichte und –kultur und haben verschiedene Bücher zu diesem Thema publiziert. Sie leben und arbeiten mit ihren Männern und fünf (3+2) Kindern in Basel.