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Willkommen, «Geheimnisse aus fremdländischen Kochtöpfen»! Wie Elisabeth Fülscher die Exotik entdeckte. Und die Konserven.

von Daniel Di Falco
Konserven_Ananas

Was bleibt uns noch an Freuden, wenn der Planet in Trümmern liegt? Egal, wer oder was die Apokalypse brachte, Marsianer, Killerviren, Bürgerkriege, Klimawandel − es gibt in solchen Science-Fiction-Filmen den Moment, da der letzte Mensch einen Rest vom Paradies in den Ruinen findet; staubig und verschrammt, die Etikette ist längst unlesbar, und ohne Dosenöffner bekommt er das Ding so leicht nicht auf. Aber dann dieses hastige Schlingen und Schlürfen, im dürren Mund explodiert die Erinnerung an die Welt von früher − so saftig und süss, als ob nie etwas gewesen wäre. Und als ob in jener Welt von früher keiner die Nase gerümpft hätte über Pfirsich aus der Dose.

Frisch muss es sein? Frische ist etwas Relatives: hängt davon ab, was sonst zu haben ist. Und die Zeit, in der die meisten Bewohner Westeuropas tatsächlich erstmals überhaupt mit Südfrüchten in Kontakt kamen, mit Pfirsichen, Bananen und Orangen, war durchaus postapokalyptisch: Es waren die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das erklärt viel von der Verheissung, selbst wenn sie aus der Konserve kam. Vor allem die Ananas war eine Sensation: ein Luxus und zugleich eine Ikone der Exotik. Nicht umsonst war eines der ersten Restaurants der Schweiz, das um 1960 Ananas auftischte, jenes am Flughafen Kloten.

Florida, Jamaika und Hawaii

Die weite Welt zog damals in die Küchen ein. Bananensplit und Toast Hawaii − mittlerweile sind das zwar Fossilien aus der Ära des Mondflugs und des Minirocks, höchstens noch zu finden in Tea-Rooms und Tennishallenrestaurants, wo auch die Sitzpolster in Orange und Braun überdauert haben, samt den Makrameevorhängen und den Glockenlampenschirmen wie aus Pergament. Aber damals: fernwehträchtige, abenteuerliche Kreationen.
«Rezepte wandern heute um die Welt», erklärte Elisabeth Fülscher in der 1966er-Auflage ihres Kochbuchklassikers: «Längst sind Spezialitäten aus der Küche jenseits des Ozeans bekannt, und wir bereichern unsere Speisezettel mit den Geheimnissen aus fremdländischen Kochtöpfen.» Die Karibik war für die allermeisten erst im Traum erreichbar, dafür gab es die Seezunge Jamaika und den Pouletsalat Florida. Oder, nach Fülschers Rezept Nummer 740, ein mittlerweile auch schon wieder fast ausgestorbenes «Reisgericht mit Geschnetzeltem»: Riz Casimir. Der war bei ihr allerdings noch ein «Risotto Casimir». Und liess sich ausserdem auch «mit breiten weichgekochten Nudeln» zubereiten − als «Nouilles Casimir».

Modern waren wir gestern

Steinzeit des Fusion Food! Höchst unauthentisch zwar, aber wunderbar unbekümmert. Und eine Wohltat angesichts des Dogmas, das in diesen Tagen auf den Tellern lastet: Die Terroirküche regiert. Hiesig sollt ihr euch ernähren, das ist ihre Predigt. Nichts gegen Sanddornbeeren aus den Bündner Bergen und die Keule einer Toggenburger Geiss. Auch nichts gegen den Metzger im Quartier und die Bäuerin nebenan. Aber der weltheilerische Eifer, mit dem die Apostel der Bodenhaftung zur «Rückbesinnung» rufen, das einfältige Pathos, mit dem sie das «Ursprüngliche» beschwören, Heimat, Erbe, Tradition und ähnlich säuerlich riechende Ideale − das alles kann einem schon den Appetit verderben. Es kommt noch der Tag, an dem ein Toast Hawaii etwas Revolutionäres wird.

Essen aus der Dose sowieso. Zu Elisabeth Fülschers Risotto Casimir gehörte «1 kleine Büchse Ananas», denn erstens war das, so die Chefin, «praktisch für eine zeitsparende, rasche Zubereitung». Und zweitens war es auf der Höhe der Zeit: Konserven waren ein Inbegriff von Rationalität und Fortschritt, eine Zierde der modernen Küche. Und daran hielten sich in jenen Jahren auch die Köche nobler Adressen. Sie brauchten für einen Fruchtsalat nicht viel mehr als einen Dosenöffner. Und flambierten frohen Mutes Büchsenpfirsich.