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Eine phantasievolle Auseinandersetzung mit der Herkunft des Spitzbuben

von Valerie-Katharina Meyer
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Während der Spitzbuben-Teig in der Kühle am Ruhen ist, frage ich mich plötzlich, warum dieses Guetzli überhaupt Spitzbub heisst.
Denke ich an einen Spitzbuben, so sehe ich ein frech grinsendes Bubengesicht vor mir, mit einem klaren, aufgeweckten Blick, einer Zipfelmütze auf dem verstrubelten Haar, die ihm schräg ins Gesicht hängt. – Eine Vorstellung, die sicher auch von Wilhelm Buschs Spitzbubengeschichte geprägt ist. Doch schon davor hatte sich der Begriff des Spitzbuben fest in unserem Sprachgebrauch verankert. So schrieb Wackernagel 1841 über den Spitzbuben: «Und wann ein Spitzbub seinem leiblichen Bruder könnte das Hauss und Hoff auff einen Abend abgewinnen, er würde es thun.»

Der Ganove kam schon im Mittelalter zu seiner Spitzbuben-Benennung. Damals verstand man unter einem Spitzbuben aber meist einen Falschspieler, also einen betrügerischen Gauner. Der erste Wortteil des Spitzbuben, also der Spitz, kann auch mit Spitzel, einer Verkleinerungsform der Hunderasse Spitz, die für ihre Wachsamkeit bekannt ist, in Verbindung gebracht werden. Denn im 19. Jahrhundert wurde das Wort Spitzel als Bezeichnung für einen Spion immer geläufiger. Doch warum sollte gerade ein Guetzli nach einem Ganoven, durchtriebenen Falschspieler, benannt werden? Betrachtet man einen fertigen Spitzbuben, könnte man die in den Teig gestochenen Löcher als Gucklöcher interpretieren: Die Marmelade spitzelt aus dem Guetzli heraus. Doch ist diese Erklärung spitzbübisch genug?

Der Teig ist endlich kalt. Ich beginne sorgfältig mit dem Auswallen des süssen Klumpens und steche runde Plätzchen aus. Dabei entdecke nichts Spitziges an diesen runden Teigstückchen und wundere mich, wie denn nun dieser Name in einem Kochbuch landen konnte. In dem Schweizer Wörterbuch von 1905 findet man noch keine Bezeichnung eines Spitzbuben für ein Guetzli, und das Internet erzählt mir, dass das älteste Spitzbubenrezept aus dem Kochbuch «Das Meisterwerk der Küche», das 1929 erschienen ist, stamme. Doch wie kommt der Spitzbub also nun im 20. Jahrhundert in die Küche?

Ich steche die Gesichter der kleinen Teigbuben aus, das heisst, ich stelle mir vor, dass es Gesichter sind, denn eigentlich sind es einfach drei Löcher, die ich versuche in möglichst gleich grossen Abständen in die runden Teigplätzchen zu stechen. Noch immer suche ich eine Erklärung für den Guetzlinamen und plötzlich kommt mir eine Idee. Ich stelle mir in meiner Phantasie vor, wie Frauen vor hundert Jahren im dämmrig-dumpfen Licht versuchten, Spitzbuben, damals noch Loch-Taler genannt, regelmässig auszustechen.

Während meine Spitzbuben endlich backen, und ich vor dem Backofen warte, bis sie hellgelb werden, reise ich erneut in die Zeit, als die Spitzbuben noch Loch-Taler geheissen haben. Damals wartete man mit dem Essen der Guetzlis bis an Weihnachten. Aber gerade die Loch-Taler, die zu den aufwändigeren Guetzli gehören, die überstanden diese Wartezeit nicht. Während auf die Mailänderli und Zimtsterne geduldig bis zum 24. Dezember gewartet wurde, verschwanden die behüteten, gut versteckten Loch-Taler auf wundersame Weise. Jahr für Jahr standen die Frauen am Abend vor Weihnachten in der Küche, das Cheminee-Feuer brannte bis spät in die Nacht, während sie erneut Loch-Taler buken, damit die Gebäcksammlung wieder vollständig war. Jedes Mal wenn sie wieder sahen, dass Loch-Taler fehlten, riefen sie den Buben im Haus zu: «Ihr Spitzbuben, wenn ich Euch erwische!»

In allen Haushalten verlief die vorweihnachtliche Szenerie etwa ähnlich. Auf den Schulhöfen erzählten sich die Kinder, wie viele Loch-Taler sie schon heimlich vernaschen konnten, und schenkte ein kleiner Bub einem Mädchen in der Vorweihnachtszeit einen von allen begehrten Loch-Taler, so war das ein Liebesbeweis, der kaum zu übertreffen war.

So wurde aus dem Loch-Taler mit den Jahren das Guetzli der Spitzbuben. Nicht, dass das Guetzli mit seinem allmählichen Namenwechsel aber an Anziehungskraft verlor. Es wurde sogar noch beliebter. Neu versteckte sich nicht mehr nur im Guetzli, sondern im Namen die Verlockung des Gebäcks. Die Mädchen wollten spitzbübisch mit den Buben mithalten und bemühten sich, an die versteckten Guetzli heranzukommen, die Buben sahen den Spitzbuben aufgrund des neuen Namens gar als ihr persönliches Guetzli an, und die Männer assen die Guetzli nun heimlich noch lieber, da sie das kindliche Spitzbubengefühl damit zu bewahren versuchten.
Meine Guetzlis sind hellgelb, ich nehme sie aus dem Ofen und warte ungeduldig, bis sie kühl genug sind, um sie bald zu Spitzbuben zusammenzusetzen. Auch noch heute fasziniert der Klang des Wortes. Der Name verbindet das Guetzli mit dem Wilden, Kindlich-Süssen, zieht es mit seiner Doppelbedeutung in eine verschmitzte, nach Marmelade duftende Welt. Obwohl das Guetzli erst seit knapp hundert Jahren so heisst, haben wir heute das Gefühl, es sei nie anders gewesen. Denn Spitzbuben gab es immer schon und wird es immer geben und das ist auch gut so. Meine fertigen Guetzli lachen mich an als wollten sie mir sagen: «Wir sind zu spitzbübisch, uns isst Du nicht.»


Valerie-Katharina Meyer (1988) studiert an der Universität Zürich Germanistik und Geschichte, arbeitet daneben als Texterin und schreibt für verschiedene literarische und kulturelle Zeitschriften. Am liebsten aber kocht sie sich durch den Alltag, spielt mit Wörtern und lebt von Träumen.


„Fülschers“ Spitzbuben sind im Dezember 2014 Rezept des Monats – hier gehts zum Beitrag:
→ Monatsrezept Spitzbuben