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In der Küche zeigt sich die Rose von ihrer schwierigsten Seite – das Problem beginnt aber schon bei ihrer Beschaffung?

von Samuel Herzog*

 

Die Rose ist für uns so sehr Schöpfung für das Auge, dass uns der Gedanke an die Möglichkeit ihres Verzehrs eher fernliegt. Die Vorstellung, Rosen zu essen, hat zudem etwas von einem Sakrileg, ist die Schöne doch auch eine Heilige, die für die unbefleckte Empfängnis der dornenlosen Rose Maria ebenso steht wie für die etwas anderen Reproduktionskonzepte von Aphrodite. Auch der Isis und der Freya, Cupido, Dionysos und Flora war die Rose geweiht. In den katholischen Kirchen werden Rosenkränze gebetet, und im Beichtstuhl vertraut man dem Priester seine Sünden nur sub rosa an. Doch auch dem Islam ist die Rose ein Ausdruck des Göttlichen, und als Saladin, der grosse Antagonist der Kreuzritter, 1187 Jerusalem zurückeroberte, wusch er die christlichen Sauereien mit Rosenwasser aus dem Felsendom.

Was die Tudors, die Lutheraner und die Freimaurer im Wappen führen und den Autoren der Antike als ein Überbleibsel der Morgenröte galt, mag man sich doch nicht leichtfertig in den Mund stecken. Ausserdem regt uns die Begegnung mit dieser «Königin der Blumen» (Sappho) zu einer ganzen Reihe kultureller Reaktionen an, ja sie flüstert sie uns geradezu ein: «Bestaune in mir das Wunder des Lebens!», «Sing ein Lied auf meine schöne Gestalt!», «Mach mich zum Symbol deiner Sehnsucht!», «Brich mich und leg mich der Angebeteten zu Füssen!». Sie sagt auch: «Riech an mir, lass dir von meinem Duft die Sinne vernebeln!», «Mach ein Parfum aus mir und betöre die Welt!». Aber eines sagt sie explizit nicht: «Friss mich!»

Das Verspeisen von Rosen hat folglich immer etwas leicht Deplaciertes, als hätte man etwas ganz grundsätzlich missverstanden. Als ich anfing, mich mit den kulinarischen Möglichkeiten der Rose zu beschäftigen, hatte ich zunächst vor allem ein Beschaffungsproblem: Selbst bei den am besten sortierten Gemüsehändlern liegen nämlich keine Rosen aus. Und die Blumen beim Floristen sind so gezüchtet und wahrscheinlich auch chemisch behandelt, dass sie in der Vase möglichst lange eine gute Figur machen und nicht beim ersten Durchzug gleich die Blätter abwerfen. Für kulinarische Zwecke sind sie kaum geeignet.

Ausserdem gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Duft einer Rose und ihrer Würzkraft – und die meisten Zierrosen haben keinerlei Parfum, da könnte man genauso gut Papiertaschentücher kauen. Die buschig wachsende Damaszener Rose, die schon im alten Persien vor allem wegen ihres Duftes in Gärten gezüchtet und von Hafis besungen wurde, ist zwar auch heute noch die Art, aus der das meiste für die Parfümerie so bedeutende Rosenöl gewonnen wird – in den Blumenläden aber werden nur ihre gradstieligen Nachfahren verkauft.

Doch das Gute liegt ja bekanntlich oft nah. In meinem Fall entdeckte ich es im Garten meiner Nachbarn, die (so wie die Birnen aussehen, die sie mir gelegentlich schenken) ganz bestimmt keine Spritzmittel verwenden. Eines Abends also schlich ich beim Licht meines Mobiltelefons zu der fraglichen Hecke, roch an den Blüten, die zahlreich aus dem Dunklen leuchteten, und schnitt, da half kein Weh und Ach, mit einer kleinen Schere all jene ab, die mir besonders stark zu duften schienen. Als ich fertig war, spürte ich plötzlich, dass ich nicht mehr allein in diesem Garten stand. Ich fürchtete, dass meine Nachbarn, die so oft das nachmitternächtliche Gelächter meiner manchmal etwas gar beschwingten Gäste leiden müssen, mich nun auch noch beim Diebstahl ihrer Rosen erwischen würden. Also setzte ich ein entschuldigendes Lächeln auf und drehte langsam den Kopf.

Schräg hinter mir, zwischen dem Kompost und der etwas eingefallenen Pergola, standen aber nicht meine Nachbarn im kniehohen Gras, sondern ein Fuchs. Er sah mich an, wie mir schien mit leicht geneigtem Kopf, und aus seiner Nase verpufften kleine Dunstwölkchen in die Kühle der Nacht. Ich war wie versteinert und spürte nur, wie mein Lächeln, einer entleerten Wursthaut gleich, allmählich aus meinem Gesicht glitt. Als es ganz verschwunden war, drehte sich der Fuchs um und trottete ruhig durch den Garten davon.

Natürlich hätte ich meine Nachbarn auch fragen können, ob sie mir einige ihrer Rosen für kulinarische Zwecke zur Verfügung stellen würden – und ich bin sicher, sie wären grosszügig gewesen. Aber das Heimliche passt eben sehr gut zum Rosenessen. Hat man die duftenden Blütenköpfe endlich, auf welchem Wege auch immer, in seine Küche gebracht, so ist man damit allerdings noch lange nicht am Ziel, denn so leicht lassen sich die olfaktorischen Reize der Königin nicht ins Reich der Teller überführen. Die Blüten haben einen markanten, ungemein blumigen und zugleich frischen Rosenduft, zu dem sich Noten von Zitronenschale, Pinienwald und Urin sowie kühle Minzetöne gesellen.

Dieser Duft aber ist sehr flüchtig. Man kann die Blätter roh als Beigabe zu einem Salat geniessen oder eine Konfitüre aus ihnen kochen. Wenn man die Blüten in einen milden Essig einlegt, dann geben sie ihr Aroma und auch ihre Farbe innert weniger Tage an die Flüssigkeit ab. Und Rosenwasser, das aber etwas anders duftet, kann man für orientalische Süssspeisen wie Marzipan verwenden. Sobald man die Königin aber in warme Speisen überführen will, benimmt sie sich äusserst zickig. Ein paar Momente der Hitze zu viel – und schon konstatiert man wie Adson am Ende von Ecos berühmtem Roman: «Stat rosa pristina nomine» («Die Rose steht nur noch als Name»). Wer mit Rosen zu kochen versucht, stellt mitunter verzweifelt fest, dass die Schöne vielleicht wirklich nicht für den gierigen Mund gemacht ist, sondern eben doch nur für das Auge.

 


Dieser Text erschien erstmals am Samstag, 11.09.2015 als Teil der Serie «Mundstücke» im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung», S. 61.