von Samuel Herzog
Auf einer Fahrt von Paris nach Basel teilte ich vor Jahren ein Sechserabteil mit einem jungen Paar, dessen Ausflug in die Stadt der grossen Gefühle offenbar kleine Differenzen an die Oberfläche gespült hatte. Hinter Troyes war ich kurz eingenickt, und als ich nach Belfort wieder aufwachte, waren die zwei eben dabei, auf eine jener Diskussionen einzuschwenken, mit denen man die tiefsten Gründe der Wahrheit auszuleuchten sucht.
«Liebst du mich denn noch» fragte sie, und ihr Blick huschte nervös über sein Gesicht –als vermute sie die Antwort in einem Zucken der Augen, einer Rötung der Wangen, einer Faltung des Kinns.Er ergriff ihre Hände und flüsterte: «Aber natürlich liebe ich dich.»«Aber wie liebst du mich denn, fragte sie weiter.»«Wie meinst du wie?»«Na wie was?»«Na, wie du, ich meine wie dich!»«Ja, schon, aber wie was ist das?»Er dachte einen Moment nach, lächelte dann: «Ich glaube,ich liebe dich wie Kohlrabi.»Sie zuckte zusammen, riss ihre Hände aus den seinen, stand auf und rauschte wortlos aus dem Abteil. Er hinterher.Kohlrabi war offenbar nicht die Antwort, nach der sich die junge Frau gesehnt hatte. Man kann sie verstehen, wenn man die Abneigung kennt, die einige Autoren gegenüber diesem Gemüse hegen. Das Appetit-Lexikonetwa meint, der Kohlrabi vermöge «in keiner Gestalt besondere Begeisterung zu erwecken, da sein Geschmack stets ein fader bleibt und oft genug ins Holzige übergeht».
Andererseits inszeniert Jean Paul in seinen Hundsposttagendie Versöhnung der Freunde Flamin und Viktor über einem in Kohlrabi gepflanzten «F». An diesem Siedepunkt der Freundschaft brennen die Wangen, schiessen die Tränen kreuz und quer durch die Gesichter, bis Viktor endlich sagen kann: «O du! o du! du edler Mensch! Nun verlassen wir uns nicht mehr, nun wollen wir ewig so bleiben. Ach wie unaussprechlich werden wir uns einmal lieben?» Vielleicht hätte die junge Frau solches wohlwollender aufgenommen als das hölzerne «Kohlrabi».Jenseits seines Wirkens im Reich der mächtigen Emotionen ist der Kohlrabi ein patentes Gemüse, das bei uns ganzjährig angebaut und frisch auch gänzlich verzehrt werden kann.Die Blätter sind ein bisschen bitter und haben ein markantes, kräftig grasiges Aroma mit einem leichten Chlor-Touch, der entfernt auch an Schweiss, an die Luft in Männer-Umkleidekabinen denken lässt. Ich esse sie als rassigen Salat mit etwas Zitrone und Olivenöl oder dünste sie mit Chili und Knoblauch. Die Stiele sind manchmal etwas faserig-zäh und schmecken wässriger, weniger aromatisch als die Blätter. Die gehäutete Knolle schliesslich ist, im Sommer vor allem, sehr knackig und saftig, leicht süss. Die Nase nimmt einen Duft wahr, der ein wenig an milden Speisesenf denken lässt. Im Mund ist das Aroma freundlich und frisch, ganz junger Käse und Melone kommen einem in den Sinn, auch stellen sich Ahnungen von exotischen Früchten ein, Ananas, Passionsfrucht, Cashew. Dann und wann blitzt am Rande auch etwas Senfschärfe auf. Dass dieser Rabi zur grossen Kohl-Familie gehört, wird erst ganz deutlich, wenn er uns nach Verzehr
Mundstück Nr. 66 ist Teil der Sammlung von 33 Mundstücken, die 2017 im Zürcher Rotpunktverlag erschienen ist. Das Buch (163 S., 33 Abbildungen, Fr. 18.-) kann im Raum 8 gekauft oder per Mail s.voegeli@raum-acht.li bestellt werden (+ 3.- Verpackung und Versand, gegen Rechnung).