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Küchenbericht von Susanne Vögeli

Ein Rezept ist eine Handlungsanweisung für die Küche. Durch die Beschreibung der notwendigen Kochpraktiken soll aus der aufgeführten Liste von Lebensmitteln ein Gericht gekocht werden können. Rezepte sind jedoch oft nicht ausreichende Informationen um ein Gericht auch zu verstehen. Begreifen kann ich ein Gericht am Besten, wenn ich es ganz wörtlich nehme mit dem Begreifen, wenn ich die Lebensmittel anfasse, rüste, koche, probiere und rieche. In der Praxis der Küche erfahre ich auch die Konsistenz, die Farbe, den Geschmack, und letztlich die Darstellung eines Gerichtes beim Anrichten.

Dazu kommt die Lust, die Geschichte des Rezeptes kennenzulernen. Beim Einkaufen der fremden Zutaten wird mir vieles über die Zubereitung und Küchentechniken erzählt und manchmal auch vorgezeigt. Das Austauschen von Kocherfahrungen unter verschiedenen Kulturen ist ein autonomes System, das beinahe unzerstörbar da ist. Es ist nicht kompliziert, sich damit in Verbindung zu setzen und den Wissensaustausch zu nutzen. Dieses Netzwerk kommt mir wie ein Geheimbund vor, ist er doch meist unbemerkt präsent und kann vieles bewegen.

Ist die konservative Veranlagung, welche die meisten Menschen dem Essen gegenüber haben der Grund, dass Rezepte die gröbsten Lebensumstände überdauern und an jedem neuen Lebensort wieder aufgenommen werden können ? Als scheinbar einfachste Sache der Welt entstehen Verkaufsläden mit der dazu notwendigen Ware und ein Austausch von Fremdem und Eigenem kann beginnen.

Es haftet etwas Unzerstörbares oder Unbeirrbares am Kochen. Was ich als Aufforderung auffasse, diese Eigenschaft im Umgang mit Rezepten aus fremden Kulturen besonders zu beachten und mit Kreativität sparsam umzugehen.

Oft nehme ich Kochtraditionen auch als Behauptungen wahr und sie wecken die Lust, sie in Frage zu stellen. Ist der Reis ohne eingeweicht zu werden weniger regelmässig gegart ? Wird getrockneter Dill im Pilaw bemerkt ? Was verändert sich im Gericht, wenn ich am Ende kein Tuch über die Pfanne lege ? Vielleicht sind die Veränderungen nicht wesentlich, oft sind sie  jedoch die Geschichten von erlebten Koch- und Essstimmungen. Die Creme nur im Uhrzeigersinn umrühren, den Dampf beim gekochten Reis mit einem Fächer wegwedeln, den Zopfteig mit einem feuchten Tuch abdecken, sind Handlungen die einem lieb geworden sind und gerne übernommen werden. Solche besondere Kochvorschriften und Rituale haben auch eine Bedeutung und Schönheit, wenn sie eventuell eine unnütze Sache sind.

 

 

Beim Lesen des Rezeptes Türkischer Pilaw Nr. 786 im Kochbuch von Elisabeth Fülscher entsteht in meiner Vorstellung ein schwerfälliger Reiseintopf, eine sättigende Mahlzeit für Tage, an denen Kochen und Essen nur zur Alltagsbewältigung gehören. Speck zum Anbraten, ein zartes Stück Schweinefleisch, welches während 30 Minuten hartgekocht werden soll, Rotwein, Tomatenpuree, Bouillon und Parboiled Reis sind die Angaben und Zutaten. Das Rezept lockt weder meine Koch- noch Esslust aus der Reserve. Vielmehr provozieren mich die Unstimmigkeiten im Fülscherrezept. Ich will das türkische Rezept kennenlernen. Kochliteratur aus dem Orient beschreibt Pilaw als das Reisgericht aus der persischen Kochkultur. Das Rezept ist Jahrhunderte alt und getränkt mit der Mystik einer fernen Welt, oft mit den Namen der Sultane geschmückt, von deren Hofküchen die Rezepte stammen.

Die Hauptzutat ist Reis. Die Reiskörner werden in allen Beschreibungen mit Sorgfalt behandelt und beinahe zeremoniell gekocht. Nebst der persischen Methode gibt es die libanesische, türkische, ägyptische und syrische Art den Reis zu waschen, einzuweichen, zu kochen, zu dämpfen und ruhen zu lassen. Diese Zubereitungsmethoden geben dem Reis eine einzigartige Struktur und Zartheit. Das Reisgericht wird auf Silberplatten präsentiert und verzaubert mit Safran, Rosenblüten, Zimt, Pinien und Mandeln. Es werden Kebab, an Spiessen gebratenes Lammfleisch, Auberginen oder Peperoni zum Pilaw gereicht.

Für türkischen Pilaw wird der Rundkornreis Baldo verwendet. In der Schweiz lebende Türkinnen verwenden gerne auch unseren Risottoreis. Basmatireis ist, entgegen meiner Annahme, nicht vorgesehen in türkischen Reisgerichten. In einigen türkischen Reisrezepten werden kleine reiskornförmige Teigwaren in Butter angeröstet und dann erst kommt der Reis in dieselbe Pfanne dazu. Die Wassermenge ist bei orientalischen Reisrezepten so knapp wie möglich bemessen. Die Kunst liegt darin, das Reiskorn durch und durch gleichmässig zu garen. Die Körner sollen dabei locker bleiben und am Ende der Kochzeit alles Wasser aufgenommen haben. Dazu ist es wichtig, dass das Reiskorn beim Einweichen bereits Feuchtigkeit aufgenommen hat. Wenn es im Alltag eilt, wird der Reis nur abgespült und abgetropft und zur Folge wird die Wassermenge beim Kochen des Reises leicht erhöht.

Angedünstet wird die gehackte Zwiebel und etwas später Pinienkerne, Korinthen, Gewürze und Reis mit einem grossen Stück Butter. Heute, der guten Ernährung zuliebe, wird im Alltag die Buttermenge reduziert oder Butter mit Olivenöl getauscht. Ein festliches Pilaw kann jedoch auf die Butteraromen nicht verzichten. Es wird traditionell Butterfett verwendet, was unserer Bratbutter entspricht und mehr nussige Aromen ins Gericht bringt.

Die warmen Aromen von Zimt und Nelke erstaunen mich nicht im Rezept. Damit der Reis schön weiss bleibt, verwende ich die ganzen Gewürze anstelle der gemahlenen. Frischer Dill in guter Dosierung ist eine überraschende Zutat im türkischen Pilaw. Vielmehr hätte ich Korianderkraut erwartet. Nur die Dominanz dieser beiden Kräuter verbindet eine Verwandtschaft. Das Verhältnis von Reis zu Wasser verhält sich 1 zu 1 ½. Nach dem Angiessen und Aufkochen wird sofort der gut schliessende Deckel aufgesetzt und auf kleinster Stufe gegart. Die Kelle zum Umrühren weglegen! Nicht umrühren im Reis, damit der entstehende Dampf den Reis durch die beim Kochen gebildeten Kanäle und Löcher lockern kann. Nach ca. 20 Minuten Garzeit wird der Deckel von der Pfanne genommen und die Herdplatte ausgeschaltet. Die Reispfanne wird mit einem Tuch oder Küchenpapier belegt. So wird sich die Feuchtigkeit im Reis gleichmässig verteilen und verhindert dass sich in der Pfanne Kondenswasser bildet. Die Garzeit von Reis kann leicht variieren, sie hängt ab von der Sorte, dem Alter und den Lagerbedingungen des Reises. Ein Rezept kann die Überraschungen, welche die Qualitätsschwankungen der Zutaten mit sich bringen kann, nie ganz auffangen. Auf die eigene wache Wahrnehmung ist oft mehr Verlass als auf Handlungsanweisungen.