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Die Festlichkeit eines Gerichts liegt nicht nur an den Zutaten, sondern auch in der richtigen „Verpackung“ der Lebensmittel. Die Verpackung ist immer auch eine Verheissung; und gerade Essen als kulinarisches Geschenkauspacken führt zu Überraschungen, die unsere Sinne berühren.

von Valerie-Katharina Meyer
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Schon im Mittelalter hat man mit kostbaren Hüllen, verzierten Buchumschlägen und bunt geschmückten Schatullen auf die Kostbarkeit des jeweiligen Inhalts verwiesen. Und heute spielen die Verpackungen von Lebensmitteln eine immer wichtigere Rolle – Art und Form der Verpackung informieren uns über den Inhalt. Zuerst wurde vieles in Plastik geschweisst; der Umwelt zuliebe gibt es nun wieder vermehrt den Gegentrend zu weniger Plastik, zu kompostierbarem Plastik, zurück zu Papier- und Kartonverpackungen. – Allerdings bei luxuriöseren Speisen ist die Verpackung meist gar nicht wegzudenken: ein Pralinee ohne „Schächtelchen, mit einem Papierkissen im Schächtelchen und einem Seidenpapier unter dem Papierkissen und als Schokolädchen wiederum einzeln in ein Papierchen gebettet“ wäre vielleicht kein Pralinee mehr, sondern nur ein Klumpen Süsse.
Doch dieser Einwand betrifft das Einrollen, Verpacken und Verstecken von Speisen beim Kochen nicht. Denn dabei verpackt man Farbe in Farben, Geschmack in Geschmäcker, Überraschung in Hülle.

Lu Wenfu schreibt in seinem Roman Der Gourmet wie verwundert die Gäste sind, da der erste Gang nicht wie gewohnt aus einem heissen Gericht besteht, sondern nur zehn knallrote Tomaten in einer schneeweissen Porzellanschale serviert werden. Und er fährt fort: Das hatte ich noch nie gehört – Tomaten als Entree! Oder zählten sie gar nicht als Gericht, sondern als Obst? – In aller Seelenruhe legte Zhu Ziye jedem Gast eine Tomate vor. Dann, wie der Zauberer im Zirkus, hob er – schwupp! – das Oberteil seiner Tomate ab, und zum Vorschein kam ein Krabbensautée.

Zhu Ziye bringt mit seinem unerwarteten Trick nicht nur die Gäste zum Staunen, indem er sein Gericht aufwändiger und somit auch kostbarer macht. Er betont damit auch geschickt die Festlichkeit des Essens, an der die Gäste aktiv teilhaben können: Der Gast muss die Speise erst auspacken, und man könnte fast behaupten, dass die Hierarchien sich plötzlich umkehren: das Gericht spielt nun mit dem Gast, verführt ihn.

Verpackte Gerichte gibt es viele und die meisten sind für uns so alltäglich, dass wir uns gar nicht mehr bewusst sind, dass wir eine Speise mit Verpackung essen. Manchmal freuen wir uns über einen unbekannten Geschmack in einem Ravioli, manchmal erwischen wir ein Törtchen mit Marzipanfüllung, die wir nicht mögen. Festtage wie Ostern, wenn wir uns mehr Zeit für Kochkreationen nehmen können, sind Gelegenheiten, endlich wieder einmal in der Küche zu verpacken, zu schnüren, das Essen zu verschachteln, um es danach bei Tisch wieder wie ein kostbares Geschenk auszupacken, um sich vom eben noch Versteckten faszinieren zu lassen.

Elisabeth Fülscher hat viele festliche Schnür- und Schachtelgerichte gesammelt. Viele davon werden heute nur noch selten gekocht. Dabei kann an Festtagen mit einem solchen Gericht überraschend ein Geschenk auf dem Teller überreicht werden. Habe ich doch vorher behauptet, das Gericht verführe den Gast, so muss ich jetzt hinzufügen, dass Fülschers Verhüll-Rezepte zuvor die Kochenden verführen. Denn liest man etwa das Rezept von Fülschers Hühnergalantine, wirkt das Gericht geschmacklich nicht sofort fassbar; aber über praktische Aspekte macht man sich zunächst Gedanken – man fragt sich: wird die Naht im Sud halten? Werde ich die Fäden entfernen können, ohne dass sich die Überraschung vordrängt? Schnell wird klar: Die Kreation wird auch für alle Kochenden zur Überraschung.

Wenn die Romanfigur Lu im Der Gourmet behauptet: Das Geheimnis ist die Zubereitung, der Geschmack jenseits des Geschmacks! so muss ich hier widersprechen: Das Geheimnis ist der Geschmack im Geschmack, den ein Gericht wie die Hühnergalantine erst auf dem Tisch verrät! Fülscher weiss es.


Valerie-Katharina Meyer (1988) studiert an der Universität Zürich Germanistik und Geschichte, arbeitet daneben als Texterin und schreibt für verschiedene literarische und kulturelle Zeitschriften. Am liebsten aber kocht sie sich durch den Alltag, spielt mit Wörtern und lebt von Träumen.