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Die Rinderbrühe ist – in Gestalt des Liebig-Würfels – eines der ersten Fertigprodukte der Nahrungsmittelindustrie.

Mundstück von Samuel Herzog
rind


Brühwürfel enthalten heute dank Julius Maggi kaum noch Fleisch, es gibt indes verschiedene Konzentrate zu kaufen, die sich mit etwas heissem Wasser in wohlschmeckende Bouillons verwandeln lassen. Man hat also, was das Aroma betrifft, kaum einen Grund, sich an das klebrige Abenteuer des Auskochens von Knochen und Fleischresten zu machen. Aber eine Rinderbrühe ist eben mehr als bloss eine Küchenzutat – und das erfährt nur, wer in eigener Regie die Essenzen aus der zersägten Karkasse des mächtigen Hornviehs siedet.

In Asien hat es Tradition, die Knochen von Rind oder Schwein während 24 Stunden auszubrodeln – bei uns ist das weniger üblich, erreicht die Brühe doch gemäss Lehrbuch nach drei bis vier Stunden den geschmacklichen Höhepunkt. Doch auch, wenn es nur wenige Stunden dauert, ist das Kochen einer Brühe doch mehr als nur die Herstellung einer Suppe. Die Düfte, die ständig aus der Pfanne aufsteigen und die leichte Feuchtigkeit, die sich vom Herd aus allmählich in der ganzen Wohnung verbreitet (vor allem wenn man keinen Dampfabzug hat), sie schaffen einen eigenen Raum, der auch den Koch nicht unberührt lässt. Nach einer Stunde im Umkreis des Topfes fühlt man sich manchmal leicht fiebrig und es kommt einem vor, als partizipiere der eigene Körper an dem Transformations- prozess, der da im Topf vonstattengeht – man schwitzt gewissermassen mit. Wenn man die Brühe dann ein erstes Mal probiert und den leimigen Saft an seinen Lippen spürt, dann steigt ein Glücksgefühl auf, als habe man der Natur ein Geheimnis entlockt, es gewissermassen aus ihr heraus gesotten. Zugleich schwebt plötzlich auch der Tod mit im Raum – wie ein Geist im schwülen Rinderdunst. Seine Präsenz ist eigentlich selbstverständlich – ist man doch dabei, den letzten Rest aus einem Tier zu extrahieren, es vollends auszusaugen, das Tote noch toter zu machen, den Kadaver zum Gerippe, eine grausame Angelegenheit. Eine schöne aber auch, denn man zaubert ja aus den letzten Bruchstücken des geschlachteten Viehs, aus den Knochen und Knorpeln, den Gelenkpfannen und Hohlräumen, den Fett- und Fleischresten auch wieder etwas hervor, das Leben und Kraft spenden kann.

Mit den Jahren habe ich meine eigenen Bouillon-Rituale entwickelt. Ich setze sie meist am späteren Abend auf und köchle sie etwa zwei Stunden lang. Kurz bevor ich zu Bett gehe, nehme ich sie vom Feuer und lasse sie über Nacht langsam abkühlen. Am Morgen koche ich sie noch einmal auf und seihe sie dann ab. Die Nächte, in denen ich im Zimmer neben meiner Brühe schlafe, sind immer etwas Besonderes. Oft kommt mir der Knochensaft dann vor wie ein Mitbewohner, der sich mir anvertraut und mir dabei Wesentliches über das Leben beibringt – Dinge, die sich nicht in Worte fassen lassen, die direkt durch die Nase ins Hirn steigen. Manchmal haben diese Nächte auch etwas Mystisches, als wären Alchemisten in meiner Nähe am Werk und als flögen die Bouillon-Hexen ums Haus. Nach solch nächtlicher Unvernunft kommt mir das Abseihen am nächsten Tag dann häufig wie ein Akt der Aufklärung vor, der alles Geheimnisvolle und Dunkle wegsiebt und nur noch den reinen Saft der Vernunft zurückbehält. Vielleicht liegt das Geheimnis des Geschmacks von Brühe gerade darin, dass sie aus mystischem Knochen-Brimborium gesiebte Klarheit ist. So schnell lässt mich die Brühe einer Nacht allerdings auch am Tag darauf nicht los – trotz Dusche und frischen Kleidern kommt es mir vor, als röche ich noch stundenlang nach ihr, ganz als hätte ich das Bett mit ihr geteilt.

Wer nicht sowieso versteht, warum man bei diesem Ritual keine Gesellschaft haben kann, der halte sich an die treffende Begründung von Uwe Nettelbeck: «Ich koche sie [die Brühe], da es im Grunde und zunächst ein schmutziges Geschäft ist, und Gesellschaft die Prozedur zwar nicht unbedingt stört, aber jeden, der ihr nur als Zaungast beiwohnt, die Prozedur und der Geruch, am liebsten allein, am frühen Morgen und dann über Nacht, und immer mit einem Anflug von schlechtem Gewissen.» Das Gebot der Einsamkeit gilt insbesondere für jene durchbrühten Nächte, in denen mich etwas lange vor dem Morgen aus dem Schlaf treibt. Denn dann gehe ich gleich in die Küche, zünde den Gasbrenner unter dem Topf mit der Brühe an, lasse sie aufkochen, probiere einen Löffel, stelle den Herd wieder ab und lege mich zurück ins Bett. Manchmal bin ich dann allerdings am Morgen nicht ganz sicher, ob ich wirklich nächtens in der Küche war – aber vielleicht gehört auch das zu den Geheimnissen einer guten Brühe, dass man sie zu einem Teil im Traum herstellt.



Samuel Herzog