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Zusammen essen bedeutet nicht nur gemeinsames Geniessen von unterschiedlichen Speisen, sondern es verkörpert auch gemeinsames Zeitverbringen. Ein Essen bedeutet Gespräche um einen Tisch herum, deren Inhalte vielleicht noch lange in unseren Gedanken weiterspielen, und das Zusammensein lässt kleine Momente, wie der Beginn eines Essens, gross erscheinen. Die Terrine ist dabei wohl eine der besten Möglichkeiten, dieses Miteinander zu erleben.

von Valerie-Katharina Meyer
Tannzapfen_beitrag

Wenn Pierre Bourdieu über einen Café-Besuch schreibt: „Ins Café geht man nicht, um schlicht zu trinken, sondern um in Gesellschaft zu trinken.“, so kann diese Feststellung auch gut auf das gemeinsame Essen übertragen werden. Denn zu einem gemeinsamen Essen einzuladen bedeutet auch immer eine Einladung zu Gesprächen, die sich im Jetzt vereinen.

So ist dann auch interessant, dass der Begriff Mahlzeit die Zeit während des Essens hervorhebt. Die Gespräche, die während des Essens stattfinden, rücken in den Vordergrund, und es geht nicht mehr bloss um Nahrung, sondern das gemeinsame Essen wird ein Anlass, der unser tiefes Bedürfnis nach Kommunikation und Miteinander zu erfüllen vermag. Es braucht das Zusammensein, um sich über neue Geschmäcke zu wundern und um phantasievoll von dem Staunen über einzelne Geschmäcker auf ganz andere Gesprächsthemen zu kommen, die dann die Pausen zwischen den Gängen zeitlos machen. So sieht auch Georg Simmel die ausschlaggebende Bedeutung der Mahlzeit im „Sichzusammenfinden zur gemeinsamen Mahlzeit“.

Für viele bedeutet die Weihnachtszeit: Man nimmt sich Zeit und setzt sich zusammen an den Tisch. Während die Kerze leuchtet und den Wein im Glas dunkler und geheimnisvoller erscheinen lässt, als er meist ist, geniesst, spricht, lacht, diskutiert man, und vielleicht streitet es sich auch einmal zwischendurch. Doch ohne festliches Essen auf dem Tische ist dieses Zusammensein nicht vorstellbar. Das Essen ist also doch nicht nur blosse Beilage zu den Gesprächen, sondern vielmehr ist es Voraussetzung dafür. Es braucht das Mahl für die gemeinsame Zeit. Wir brauchen die essbaren Farben und Formen, die kulinarische Zauberformel. Denn ohne Essen, wenn das gemeinsame Geniessen wegfällt, verliert dieses Zusammensein viel von seinem Sinn, vor allem aber seine Sinnlichkeit.
Doch was setzt man an den Anfang dieses Zusammenseins? Welches Gericht lässt sich gemeinsam geniessen, wenn die Gespräche noch belanglos sind und Worte noch rastlos umherschwirren? – Natürlich die Terrine – Schon Elisabeth Fülscher rät uns, diese als Hors d`oevre zu servieren.

Alle sitzen um den Tisch und blicken vielleicht mit erwartungsvollen Augen in die Runde, sprechen ausgelassen oder vielleicht auch zurückhaltend über dies und jenes, stibizen schon ein Stückchen frisches Brot mit knuspriger Rinde, spielen mit dem Rand der noch unbenutzten Serviette oder fahren sachte mit dem einen Finger über das Holz des Tisches und sammeln die eben gefallenen Brotkrumen wieder ein, während die Kerze schimmert und ihr Wachs allmählich zu tropfen beginnt – jetzt kommt die Terrine in die Mitte. Sie eröffnet das Essen aber nicht protzig, sondern in ihrer eigentlichen Form wirkt sie bescheiden. Ihre Konsistenz zwingt alle Zutaten zu einer genügsamen Gemeinschaftlichkeit, und keinem ihrer Bestandteile gelingt es, sich angeberisch ins Zentrum zu rücken. So zeigt sich dann die ganze Festlichkeit der Terrine auch erst in ihrem Geschmack: So wie sich die Worte in einem poetischen Satz zu einem Miteinander fügen, so tun es auch die Zutaten: Mit der Terrine beginnt die gemeinsame Mahlzeit als ein kulinarisches Gedicht, von dem jede abgeschnittene Scheibe zu einem neuen Anfang führt.

Die Terrine rückt schon mit ihrer Form als Gericht, indem sie viele ihrer Zutaten unkenntlich macht, nicht die Speise, sondern das kollektive Geniessen in den Vordergrund. Man könnte meinen, diese Gemeinsamkeit sei ihr innerster Kern, besteht doch auch das Geheimnis ihrer Verarbeitung darin. So bringt sie nicht nur Festlichkeit in die Tischmitte, sondern das harmonische Miteinander ihrer Zutaten überträgt sich auf das Zusammensein um den Tisch herum: Setzt man eine Terrine an den Anfang des Essens, in die Mitte des Tisches, wie Fülscher es vorschlägt, so verwandelt sich das Essen in eine Mahlzeit. Während der ersten Tischgespräche wird die Terrine Stück für Stück kleiner, und ihre Zutaten, die anregend auf der Zunge vergehen, beflügeln die Worte.


Valerie-Katharina Meyer (1988) studiert an der Universität Zürich Germanistik und Geschichte, arbeitet daneben als Texterin und schreibt für verschiedene literarische und kulturelle Zeitschriften. Am liebsten aber kocht sie sich durch den Alltag, spielt mit Wörtern und lebt von Träumen.